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Für dich

 

Ein Stein, der in der Dunkelheit dir leuchtet.

Ein Bienenschwarm, der Wüstensand befeuchtet,

Ein Eichenbaum, der tausend Lieder singt

und ich, die keine Worte mehr zustande bringt.

 

Ein Boot aus Sand, das übers Meer dich trägt.

Ein Blütenwirbel, der heiße Rhythmen schlägt,

dort steht Spalier ein großes Schwalbenheer,

doch die Blätter vor mir bleiben weiß und leer.

 

Schau, die bunten Berge tanzen in der Nacht

und kleine Wichtel halten fröhlich Wacht,

am Waldesrand, die Rehe flechten Federkränze

für dich. Und ich – ich stehe an der Grenze

 

und winke einem Stern, der sich dort dreht,

der gleich mir zu Gott im Himmel fleht:

„Herr, gib ihm Ruh und gib ihm Frieden,

lass ihn neue Lebenspläne schmieden.

Dafür braucht es kein Gedicht.

Herr, er braucht dein Licht.“

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  • 3 Monate später...
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Moin Liara,

 

schade, dass der Text einfach so untergegangen ist, dafür ist er ja nun wirklich zu schön!

Inhaltlich bin ich zwar nicht gänzlich gefangen, weil der religiöse Einschlag am Ende einfach nicht meine Themenwelt ist und der Text sicher auch ohne die Gott-Keule wirken könnte, aber darüber will ich jetzt einfach mal hinwegsehen 😄

Ansonsten lese ich deinen Text, trotz Einordnung unter Melancholisches, Düsteres, Trauriges eigentlich wie einen Liebesbrief, aber das muss sich ja auch nicht ausschließen.

Gehen wir das mal Stück für Stück durch:

 

Am 7.11.2023 um 09:00 schrieb Liara:

Ein Stein, der in der Dunkelheit dir leuchtet.

Ein Bienenschwarm, der Wüstensand befeuchtet,

Ein Eichenbaum, der tausend Lieder singt

und ich, die keine Worte mehr zustande bringt.

Metrum und Reim:

xXxXxXxXxAa

xXxXxXxXxAa

xXxXxXxXxB

xXxXxXxXxXxB

 

Ein 5-hebiger (im letzten Vers 6-hebiger) Jambus mit Paarreimen. 
Die kennt man in der Regel eher bei fröhlicheren, beschwingteren Texten. 
Bei diesen recht langen Versen gleicht sich das aber aus. 
Der letzte Vers hat eine Hebung mehr, passenderweise genau dort, wo es darum geht, keine Worte mehr zu finden. 
 

Inhalt und Stil: 
Ich finde die überzählige Hebung hier sogar passend, da es formal das unterstreicht, was ich hier in der ersten Strophe bereits als kleinen Eindruck gewonnen habe: Eine Sammlung von Unmöglichkeiten, Fantasien, ja vielleicht gar Widersprüchen. 
Der Stein, der nachts leuchtet, mag noch am realistischsten sein, wobei es einen aus sich selbst leuchtenden Stein so ja auch eher nicht gibt. Ein tolles Bild dann der Bienenschwarm, der den Sand befeuchtet, naturgegeben höchst unwahrscheinlich, aber bildlich sehr sprechend für größte Anstrengungen, die schlussendlich wohl doch scheitern werden. Das lyrische ich lässt nichts unversucht, kein Wüstensandkorn unbenetzt, um vielleicht zu beweisen, dass man Unmögliches doch schaffen kann.

 

Am 7.11.2023 um 09:00 schrieb Liara:

Ein Boot aus Sand, das übers Meer dich trägt.

Ein Blütenwirbel, der heiße Rhythmen schlägt,

dort steht Spalier ein großes Schwalbenheer,

doch die Blätter vor mir bleiben weiß und leer.

Metrum und Reim:

xXxXxXxXxC

xXxXxxXxXxC

xXxXxXxXxD

xxXxXxXxXxD

 

Hier haben wir metrische Ungenauigkeiten in V2 und V4. 
In V2 könnte man wieder inhaltlich argumentieren, wo ja der Rhythmus aufgegriffen wird, konsequenterweise dann wie in Strophe 1 eine Abweichung, ein Widerspruch zwischen dem Geschriebenen und dem Formal hier angebotenen. 

Ich würde an der Stelle traurigen Herzens den Bruch wohl in Kauf nehmen, für V4 fehlt mir dazu aber die Grundlage, die weißen, leeren Blätter wären da eher ein Argument für eine reduziertere Versfußzahl.

Falls es doch nicht Absicht war, hier ein Vorschlag:

Ein Boot aus Sand, das übers Meer dich trägt.

Ein Blütensturm, der heiße Rhythmen schlägt,     | oder: Blättersturm/Blättertanz/Blütentanz

dort steht Spalier ein großes Schwalbenheer,

doch meine Blätter bleiben weiß und leer.           | oder: doch das Papier vor mir bleibt weiß und leer.

 

auch der "Blättersturm/Blättertanz" wäre spannend, wenn du in V4 bei den Blättern bleibst, da sich so eine schöne Überkreuzung der Bedeutungen ergibt.

Fände in V4 aber rein klanglich auch das "Papier vor mir" schön mit dem Binnenreim.

 

Inhalt und Stil:

Weitere Unmöglichkeiten, besonders das Boot aus Sand ist hier überdeutlich.  
Hier wird nun auch erstmals so richtig deutlich, dass das lyrische Du sich offenbar in einer gefährlichen/schwierigen Lage befindet. Denn ein Sandschiff wird wohl kaum ein verlässliches Transportmittel sein, es wird mit dem lyrischen Du untergehen. Das lyrische Du schein hilflos, ziellos, gestrandet.
Diese Bedrohlichkeit für das lyrische Du wird noch verstärkt durch das Heer an Schwalben, das den Weg des lyrischen Dus säumt. 
In ihrer klassischen Bedeutung als Glücks-, Hoffnungs- und Frühlingsbringer kommen sie nun doch eher gefährlich daher.

Der letzte Vers knüpft an die Erfahrungen der ersten Strophe an, weiterhin, trotz all der Eindrücke, trotz all der fantastischen Unmöglichkeiten fehlen dem lyrischen Ich die Worte - es ist handlunsunfähig.

 

Gelesen als Liebesbrief ist es die Überwältigung, die das lyrische Ich durch das lyrische Du erfährt.
Im düstereren Kontext ist es dann wohl eher die Fassungslosigkeit über die eigene Unfähigkeit, Unmögliches zu vollbringen.

Rein bildlich ist diese Strophe allerdings etwas wirr, die Bilder fügen sich nicht ganz konsistent ineinander. 
V1 - Bootsfahrt auf dem Wasser.

V2 - Blüten, da bin ich eher auf einer Wiese, aber okay - die können auch über das Wasser schweben.
V3 - Schwalben stehen offenbar im Wasser, auf der Strecke des Boots Spalier.

V4 - ist eh herausgelöst als individuelle Beschreibung des lyrischen Ichs, da passt es.

 

Ich finde das tatsächlich auch nur in dieser Strophe erwähnenswert problematisch, weil hier eben schon ein Prozess, ein Voranschreiten dargestellt wird mit der Bootsfahrt und dem Spalierstehen, das ja ebenfalls eine Bewegung daran vorbei suggeriert. 
In Strophe 1 waren die verschiedenen Bilder klar voneinander differenziert als eigenständige Erscheinung des Unmöglichen.

 

Am 7.11.2023 um 09:00 schrieb Liara:

Schau, die bunten Berge tanzen in der Nacht

und kleine Wichtel halten fröhlich Wacht,

am Waldesrand, die Rehe flechten Federkränze

für dich. Und ich – ich stehe an der Grenze

Metrum und Reim:

XxXxXxXxXxE

xXxXxXxXxE

xXxXxXxXxXxFf

xXxXxXxXxFf

 

Das ist metrisch wohl das wildeste. 

6-hebiger Trochäus ohne weibliche Kadenz.

5-hebiger Jambus.

6-hebigen Jambus mit weiblicher Kadenz.

5-hebiger Jambus mit weiblicher Kadenz. 

Da ist jeder Vers anders und abgesehen von der inhaltlich angedeuteten Grenzerfahrung ist da diesmal, anders als in den anderen Strophen keine direkte wörtliche Rechtfertigung offensichtlich^^ 
So wild mag ich es aber auch nicht, also selbst wenn man das inhaltlich begründen könnte, wäre es nicht mein Geschmack^^

Es ist hier wieder mit wenigen Kniffen getan, aber ich gehe wieder davon aus, dass du das schon bewusst so gesetzt hast?

Vorschlag:

Die bunten Berge tanzen in der Nacht

und kleine Wichtel halten fröhlich Wacht,

am Waldrand flechten Rehe Federkränze

für dich. Und ich – ich stehe an der Grenze

 

Inhalt und Stil:

Es versteht sich von selbst: Die Unmöglichkeiten nehmen ihren Lauf: 
Nachts sind alle Berge grau, das weiß ja jeder 😉 
Wichtel als hilfsbereite Wunscherfüller sind ein weiteres Ding der Fantasie des lyrischen Ichs. 
Die geflochtenen Federkränze vermitteln das Gefühl von Freiheit bzw. Erlösung.
Als könnten sie dem lyrischen Du aufgesetzt werden es wäre frei.
Die Grenze, vor der sich das lyrische Ich befindet, wird gleich nochmal spannend.

 

Am 7.11.2023 um 09:00 schrieb Liara:

und winke einem Stern, der sich dort dreht,

der gleich mir zu Gott im Himmel fleht:

„Herr, gib ihm Ruh und gib ihm Frieden,

lass ihn neue Lebenspläne schmieden.

Dafür braucht es kein Gedicht.

Herr, er braucht dein Licht.“

Metrum und Reim:

xXxXxXxXxG

xxXxXxXxG

XXxXxXxHh

XxXxXxXxHh

xXxXxXI

XxXxI

 

Mit 6 Versen hier nun die große Ausnahme. 
Metrisch ungenau in V2, V3 und V6. 
Die letzten beiden Verse könnten da wieder andeuten, dass dieser Text, ein Gedicht eben keine Relevanz hat, es wird dem lyrischen Du nicht helfen, warum dann in seine Form investieren - aber auch das würde mich natürlich unglücklich machen, da ich die 6 Verse eher dahingehend deute, dass einfach noch zu viel Inhalt übrig war, als dass du mit 4 Versen hättest schließen können. 
Das reicht mir nicht als Rechtfertigung 😄


Ich würde auf die Schnelle nun auch keine vierzeilige Alternative finden, daher zumindest ein wenig Arbeit am Metrum und etwas bildliche Bearbeitung in meinem ganz eigenen egoistischen Sinne 😄 Mehr dazu aber darunter dann.

Vorschlag:

und irre wie der Stern, der sich hier dreht,

der so wie ich zu größ'ren Mächten fleht:

„Gib Ruhe ihm und gib ihm Frieden,

lass ihn nun neue Pläne schmieden.

Er braucht dafür nicht mein Gedicht.

Er braucht dafür dein Licht.“

Zu den bildlichen Änderung wie gesagt gleich mehr. 
Metrisch finde ich das Antiklimaktische eigentlich gut, das käme so nun nochmal deutlicher rüber als bei deinem Original.

 

Inhalt und Stil:

Wie gesagt, das Religiöse ist dabei nicht meine Welt, aber ich verstehe natürlich voll, wenn man das nicht einfach so rauskorrigieren will. 
Etwas neutraler wäre es so nun mit den allgemein gehaltenen größeren Mächten und ohne die Herr-Ansprache.

Das Winken in V1 hat mich sehr irritiert, es kam so beschwingt und fröhlich daher, das sehe ich an dieser Stelle nicht mehr. Daher wäre "irren" eigentlich ganz passend, gerade auch mit dem sich drehenden Stern in Verbindung.
Der Stern der sich "hier" dreht, wäre in meiner Lesart konsequenter als "dort", dazu gleich.

Ich finde "neue Pläne" reicht - Lebenspläne kam mir schon beim ersten Lesen irgendwie wie ein metrischer Füller vor und ich finde es wie gesagt auch mit Blick auf das metrische Abflachen ganz cool, wenn wir uns hier ein paar Hebungen einsparen.

 

Zusammenfassend:
Ich denke, das lyrische ich befindet sich an der Grenze zum Leben? 
Es selbst ist wohl schon über diese Grenze getreten, kann nicht mehr bestärkend in das Leben des verzweifelten lyrischen Dus einwirken. 
So sehr es auch versucht, dieses Unmögliche zu leisten, im Angesicht all der unmöglichen Dinge, die das lyrische Ich auf der anderen Seite bezeugen darf, es wird dem lyrischen Du nicht helfen können. 
Daher, wie der Stern - mit dem das lyrische Ich sich eben auf derselben Ebene befindet, nur eine Ebene unter den heraufbeschworenen höheren Mächten, die doch bitte einwirken mögen und das lyrische Ich erleuchten sollen.


Mir gefällt dieser andere Ansatz mit dem lyrischen Ich als bereits gegangene Seele, die betrauert, wie wenig sie doch für ihr zurückgebliebenes lyrisches Du tun kann. 
Ein Gedicht aus der Sicht des lyrischen Dus, das über eine verstorbene Person weint, hat es ja schon oft genug gegeben.

Von daher, ein schöner Twist, der auch nicht sofort ersichtlich ist. 
Nur das Religiöse wie gesagt bräuchte ich in der Vorschlaghammerartigkeit nicht^^

Dennoch aber gern gelesen.

Ich hoffe, ich habe deinen Text damit nun nicht völlig zerredet oder deine religiösen Ansichten mit meinen Ideen besudelt^^

Der Eindruck bleibt auf jeden Fall bestehen: 
Es ist ein Liebesbrief an ein lyrisches Du, das zurückbleiben muss.
Und es ist eine Kriegserklärung an das Unmögliche, das lyrische Du zu unterstützen, bei allen anderen unmöglichen Dingen, denen das lyrische Ich auf seiner Ebene gegenübersteht.

 

 

LG Christian

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