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Feedback jeder Art Der Fischer von Mourtos

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Der Fischer von Mourtos

Der alte Fischer wollte die letzten warmen Sonnenstrahlen nutzen, um die Maschen seines Netzes mit Nadel und Garn zu flicken, als ein Paar glänzende, an Reptilleder erinnernde Stiefel seine Arbeit abrupt beendeten.

Als er aufblickte, um den Inhaber zu mustern, der ihm zudem die Sonne nahm, sagte er leicht verärgert: „Entschuldigen Sie, mein Herr, aber Sie stehen auf meinen Netzen!“

Nur zögerlich wichen die Stiefel und die fremde Gestalt zurück.

„Sorry“, murmelte der Störenfried und fragte dann prahlerisch: „Du weißt wohl nicht, wer ich bin?“
„Nein, ich habe Sie noch nie gesehen. Machen Sie hier Urlaub?“, fragte der Fischer ruhig.
„Ich habe keine Zeit für Urlaub. Ich suche meinen Koch, der sich hier irgendwo herumtreiben muss! Ich hatte ihn beauftragt, für heute Abend Fisch zu besorgen!“, schimpfte der Fremde.

Dann jammerte er über die Unzuverlässigkeit des heutigen Personals im Allgemeinen und über den wilden, ungepflegten Haarwuchs seines Kochs im Besonderen. Dabei fiel sein Blick auf einen großen schwarzen Eimer, der im Boot des Fischers lag.

Neugierig trat der Mann mit den extravaganten Stiefeln einen Schritt vor.
„Ach, was für ein Glück – ich bin hier ja goldrichtig!“ rief er begeistert. „Der Fisch da im Eimer, ist der frisch?“
„Natürlich ist der frisch, ich habe nur frischen Fisch“, erwiderte der Fischer gelassen.

„Und was kostet er bei dir, alter Mann?“
„Der ist reserviert“, sagte Elias ruhig.

Der Hals des Unbekannten färbte sich tiefrot, und einen Moment lang sah es aus, als würde er gleich explodieren. Doch er atmete durch und presste hervor: „Reserviert oder nicht – ich zahle das Doppelte!“

„Fünfzig Euro und Ihre Stiefel“, sagte der Fischer.
Der Fremde brach in lautes Gelächter aus, hielt sich am Geländer fest, um nicht vornüber ins Wasser zu fallen.
„Fünfzig Euro sind schon eine Frechheit, aber dann noch meine edlen Krokodillederstiefel für einen Eimer Fisch? Das ist absurd!“

Elias zuckte nur mit den Schultern. „Absurd ist, zu glauben, dass alles im Leben käuflich sei“, sagte er leise, fast mehr zu sich selbst als zu dem anderen.

„Ich bin Nikos Petrakis, Großunternehmer im Immobiliengeschäft und Besitzer einer Luxusyacht mit Pool und Gourmet-Küche.“

„Ich bin Elias Papadimitriou, Kleinunternehmer im Fischereigeschäft und Besitzer eines Kutters mit Eimer und Gourmet-Fischen“, erwiderte der Fischer, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Was willst du mit Stiefeln, die bald halb so teuer sind wie dein Boot?“
„Ich habe noch eine Schuld zu begleichen“, sagte Elias geheimnisvoll.
„Ich kann mir frischen Fisch auch am nächsten Kutter holen!“
„Das bezweifle ich“, erwiderte Elias ruhig. „Dieses Wochenende ist Dorffest, jeder hier hilft im Hafen.“

Nikos schwieg eine Weile, dann sagte er zögernd: „Ich habe heute ein wichtiges Bankett. Ich kann einen Mitarbeiter schicken, der den Fisch holt und dir meine Stiefel bringt.“

„Ich reserviere den Fisch nicht ein zweites Mal“, sagte der Fischer bestimmt.

Der Unternehmer kochte innerlich vor Wut. Schließlich warf er Elias die 50 Euro hin, streifte mit einem Ruck seine Stiefel ab und stapfte in löchrigen roten Socken davon – sein großer Zeh lugte beschämt hervor. Noch nie im Leben hatte er sich so gedemütigt gefühlt.

Es dauerte nicht lange, bis ein kleiner, etwas untersetzter Mann, der sich bereits am Nachmittag als Dimitris, Koch der Luxusyacht Poseidon, vorgestellt hatte, den Kutter erreichte.

„Hallo Elias, ich komme, um die Fische abzuholen, die ich bei dir zurücklegen ließ!“ rief er.
„Die hat dein Chef bereits abgeholt“, sagte der Fischer.
„Mein Chef? Woher kennst du meinen Chef?“
„Nun, er berichtete von einem vermissten Koch, der dringend einen Friseur nötig hätte“, antwortete Elias mit einem Schmunzeln. „Wie ich sehe, kommst du gerade von dort.“
„Ich hoffe, er hat auch gleich bezahlt?“
„Ja“, sagte Elias. „Fünfzig Euro und seine Stiefel.“
„Fünfzig? Du hattest doch nur fünfundzwanzig verlangt!“
„Er wollte unbedingt den doppelten Preis zahlen“, grinste Elias. „Damit kann ich Thanos, den Besitzer des kleinen Fischladens, endlich bezahlen – er hilft mir an Sonn- und Feiertagen mit Ware aus der Stadt aus.“
„Aber was willst du auf einem Fischerboot mit solchen kostbaren Stiefeln?“ fragte Dimitris.

Elias sah ihn lange an, und in seinen Augen lag etwas, das zwischen Wehmut und Trauer schwankte.

„Sie sind nicht für mich“, sagte er leise. „Sie sind für meinen alten Freund und Geschäftspartner Alexius. Ich habe ihm versprochen, dass wir eines Tages so viel verdienen, dass er sich die Krokodillederstiefel kaufen kann, von denen er immer träumte.“

Dimitris schwieg. Er hatte vom Friseur gehört, dass vor zwei Jahren ein gewaltiger Sturm die Küste verwüstet und Boote zerschmettert hatte – viele Fischer fanden dabei den Tod.

Schließlich legte Dimitris Elias die Hand auf die Schulter, nickte und verabschiedete sich. Am Steg drehte er sich ein letztes Mal um, winkte ihm zu und machte sich auf den Weg zurück zum Hafen.

Als die Sonne langsam hinter dem Meer versank, wurde das Wasser still wie Glas. Elias saß eine Weile reglos im Boot. Dann legte er die Stiefel nebeneinander, füllte sie mit schweren Steinen und band sie mit einem Stück Garn zusammen.

Er ruderte hinaus, bis der Hafen nur noch ein Streifen Licht war. Kein Wind, kein Laut – nur das leise Schlagen des Wassers gegen den Rumpf.
Er hob die Stiefel an, hielt sie einen Moment in der Abendluft und flüsterte: „Für dich, alter Freund.“

Dann ließ er sie sinken. Und als sie im dunklen Wasser verschwanden, war es, als hätte die See ein altes Versprechen eingelöst und jemanden endlich heimgeführt.



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