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Feedback jeder Art Tarnfarben

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  • evermore
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Manchmal denk ich,
alles wäre leichter,
wenn ich mich einfach
aus der Gleichung lösche.
Nicht dramatisch.
Nur still.
Wie ein Fehler im System,
den keiner laut korrigiert.

Ich denke,
Aufgeben wäre Egoismus.
Aber was,
wenn Weiterleben
nur noch Folklore ist?
Ein Tanz um das Feuer,
das längst aus ist,
während alle klatschen
und sagen: „Wie warm!“

Ich weiß,
andere zählen auf mich.
Aber manchmal
zählt niemand mich mit.
Und das macht die Summe
nicht falsch,
nur leerer.

Ich bin müde,
nicht weil ich nicht will,
sondern weil ich
zu viel gewollt habe
für zu viele
mit zu wenig Rückweg.

Manchmal will ich
nicht sterben,
nur kurz
nicht da sein müssen.
Nicht denken.
Nicht glänzen.
Nicht retten.

Aber dann seh ich dich.
Und denke:
Wenn ich gehe,
nimmt der Schmerz
ein Stück von dir mit.
Und das wär wirklich Egoismus.

Also bleib ich.
Nicht für mich.
Aber aus Trotz
gegen die Dunkelheit,
die glaubt,
sie wär klüger
als Liebe.
 
Hallo evermore, zu bleiben, weil man nicht enttäuschen will, nicht verletzen, das ist schon hart und furchtbar anstrengend. Vielleicht kann das LI ja etwas kürzer treten im Leben und sich von der Liebsten oder dem Liebsten einmal umsorgen lassen, um die Batterien wieder aufzuladen. Sich auch einfach einmal fallen lassen zu können, ist auch ein wichtiger Teil der Liebe und der Beziehung. Der Partner wird doch sicher merken, dass das LI ausgebrannt ist? Hier scheint das LI allein auf weiter Flur und nimmt keine Rücksicht auf die eigene Befindlichkeit, sondern eher noch auf andere. Der Trotz gefällt mir, weil er Kampfgeist zeigt. Dennoch lastet den Zeilen diese Schwere an, diese Bürde, die zu tragen ist. Allein die Verantwortung zu übernehmen, dazu hat sich das LI entschieden. Ich frage mich, welche Farbe wohl das LI gerade verkörpert- grau?

Liebe Grüße Darkjuls
 
hey darkjuls,

merci für deine ausführliche rückmeldung!

du hast natürlcih recht, dass das wohl die beste lösung für das li wäre. die meisten menschen sind mehr gewohnt zu nehmen als zu tragen, deshalb ist liebe oft kein loungebereich.
eher ein schmaler grat zwischen „ich bin da“ und „ich verliere mich“.

das li hier, das ist nicht blau oder grau. es ist durchscheinend, denke ich. so sehr beansprucht von allem, was man nicht sieht, dass farbe gar nicht mehr infrage kommt. manchmal trägt man menschen wie schatten mit sich herum. und manchmal trägt man sich selbst wie ein problem, das man niemandem zumuten will.

aber ja – da ist trotz. nicht die schöne sorte. nicht „aufrichten und weitermachen“. eher: ich bleib hier, weil verschwinden schlechter Stil wär. und stil ist manchmal das letzte, was man noch hat, wenn alles andere zerfällt.

also danke fürs mitgehen,
evermore
 
Vielleicht oder ganz sicher sogar, sollte das LI seine noch verbleibende Energie mal auf sich und seinen Kampf, den es mit dem Leben führt, richten. Ein scheinbar ganz unscheinbares Leben zu führen, raubt doch nur Kraft und hat keine Zukunft. Also nicht mehr um das heiße Feuer tanzen, sondern der Tatsache in die Augen sehen, dass es so nicht weitergehen kann und darf, sonst kommt noch soetwas wie ein Herzinfakt oder Burnout daher.

Als Außenstehender bzw. Leser bin ich geneigt, diese Ratschläge zu geben. Dein Text ist für mich eine Art Hilfeschrei, ohne große Hoffnung, dass den Schrei jemand hört. Das LI will wieder einmal alles allein richten, wobei es am Ende seiner Kräfte ist. Wenn schon weiterkämpfen, dann für sich. Ich denke Tarnfarben steht auch für die Tarnkappe, die das LI trägt, nach aussen so tun, als ginge es immer so weiter. Im Text taucht mir zu oft das Wort "manchmal" auf, auch ein Hinweis, dass hier eine Grauzone erreicht ist.

LG Darkjuls
 
hey darkjuls,

der „kampf mit dem leben“ ist tatsächlich die stille schlacht, die kaum jemand sieht, und doch jeder kennt, die, in der das ich im stillen seine tarnkappe trägt, um nicht noch mehr sorge zu bereiten „manchmal“ steht bewusst an jenen stellen, um eben diese grauzone zwischen hoffnung und verzweiflung zu markieren, in der sich das lyrische ich bewegt – ein ständiges schwanken, das die fragilität des daseins widerspiegelt.

dass der text als hilfeschrei empfunden wird, zeigt mir, dass die worte die brücke schlagen zwischen dem inneren und der außenwelt, ohne dabei in eine simple schwarz-weiß-malerei zu verfallen, vielen dank!

deinem hinweis, die verbleibende kraft auf sich selbst zu richten, stimme ich zu und genau das versuche ich, zumindest teilweise, soweit wie im Rahmen der abhängigkeit des lis möglich, im schlussbild des trotzens gegen die dunkelheit zu formulieren: es ist ein aufbegehren, das nicht unbedingt von optimismus genährt wird, sondern von einer stillen rebellion.

danke fürs reflektierte und einfühlsame lesen und
vg
evermore
 
Hi evermore

Ein stilles, eindringliches Gedicht, das in seiner Form Zurückhaltung wahrt, aber inhaltlich eine tiefe emotionale Komplexität entfaltet. Es gelingt dir, die Müdigkeit eines lyrischen Ichs zu zeigen, das sich nicht dramatisch aus dem Leben entfernen will, sondern sich nach einer Pause vom ständigen „Sein-Müssen“ sehnt – ein starker Kontrast zur gängigen Todessehnsucht-Lyrik.

Besonders gelungen finde ich die Differenzierung zwischen dem funktionalen Dasein („nicht denken, nicht glänzen, nicht retten“) und dem eigentlichen Wunsch nach echtem, nicht rollengebundenem Gesehenwerden. Der Text lässt durchblicken, dass es nicht um Aufmerksamkeit geht, sondern um Resonanz – darum, als Mensch erkannt zu werden, nicht nur als Stütze.

Die letzte Wendung („Also bleib ich. Nicht für mich…“) wirkt weder pathetisch noch konstruiert, sondern überzeugt durch ihre schlichte Klarheit. Sie lässt das lyrische Ich nicht als Opfer erscheinen, sondern als jemanden, der in der Lage ist, die Dunkelheit zu durchschauen und sich bewusst – wenn auch erschöpft – für das Weitergehen entscheidet.

Formal reduziert, sprachlich präzise, inhaltlich tief: ein Text, der nicht klagt, sondern beschreibt – warum er gerade so berührt? Ich glaube die Einsamkeit unseres hochbegabten Lis ist universeller: nahe bei der mythologisch spirituellen Einsamkeit zu Beginn der dunklen Nacht der Seele

Mes compliments

Dio
 
hey dio,

danke für deine worte, sie berühren sehr, vielleicht gerade, weil sie nicht nur das gedicht gelesen haben, sondern auch das dazwischen: die erschöpfung ohne melodramatik, das sehnen nach pause ohne auflösung.

du hast vollkommen recht: es geht nicht ums verschwinden, sondern ums kurz loslassen dürfen. nicht, weil man nicht mehr will, sondern weil man schon so lange durchhält.

danke, dass du die trennung zwischen funktion und gesehen-werden so klar benennst. genau das ist es oft: man ist da, hilft, trägt – und bleibt trotzdem ungezählt.

die „dunkle nacht der seele“, dein bild dafür, trifft einen wunden punkt. und gleichzeitig einen sehr wahren. vielleicht ist lyrik manchmal der kleine lichtspalt darin.

ich danke dir sehr für deinen blick, deine genauigkeit.
vg
evermore
 
  • evermore
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