Fräulein Brunhilde zu Quenstedt im Harzerland
Um die heutige Region um den Arnstein im Harz gab es eine kleine, große Hexe. Sie war groß an Statur und klein im Geiste. Heute würde man sagen, sie hatte beim Denken nicht allzu viel Glück, aber das nur am Rande.
Es trug sich zu im April, im Jahre des Herrn 327. Der Frühling nahm langsam Fahrt auf, überall blühte und grünte es. Die Tage wurden länger, die Nächte milder, und es stand ein Blutmond bevor.
Unsere kleine, große Hexe war auch dieses Jahr nicht zum Hexentanz nach Thale eingeladen. Möglicherweise war ihre Einladung nur in der Post verloren gegangen. Da das moderne Postwesen noch nicht erfunden war, wurden Vögel für die Erledigung dieser Arbeit rekrutiert. Wobei das aber auch eher suboptimal funktionierte, wie wir heute wissen. Natürlich hätte man auch „fuchsen“ können, aber die Füchse schliefen noch in ihren Bauen, so schied auch diese Möglichkeit aus.
Aber zurück zu Brunhilde.
Brunhilde wurde, wie schon erwähnt, nicht zum Hexentanz eingeladen, so vertröstete sie sich selbst auf das nächste Jahr. Bis dahin, nahm sie sich vor, würde sie in ihrem Bestreben, wahre Magie zu wirken, besser werden. So versuchte sie sich in einfachen Zaubern, wie dem Wetterzauber. Denn das war unabdingbar für eine richtige Hexe. So beschwor sie Stürme und Gewitter, mit Schnee, Eis und Hagel. Nur wollten diese Zauber ihr nicht recht gelingen, dachte sie. Über die Naturkatastrophen, die sie auf der anderen Seite des Gebirges auslöste, ahnte sie nichts.
Brunhilde hatte auch in der Ortsvorsteherin zu Quenstedt, Sieglinde, eine teure Freundin und Unterstützerin gefunden. Doch auch Sieglinde wusste keinen Rat.
Und so nahm die Geschichte ihren Lauf.
Eines schönen Morgens erwachte Brunhilde erholt und erfrischt aus einem Traum. Sie hatte Wetter gemacht und der Gemeinde zu Wohlstand verholfen. Doch wie es sich so verhält mit Träumen: Sie wurden nicht erfüllt. Statt Gold und Korn regnete es draußen – keine Spur von Wohlstand, dafür aber in Strömen.
Brunhilde seufzte. Das musste dieser vermaledeite Wiederholzauber sein, bei dem man angeblich alles, was man im Schlaf tat, am nächsten Tag wiederholen konnte. Nur leider hatte sie ihn am Abend zuvor versehentlich rückwärts gemurmelt. Jetzt wiederholte sich nicht der Traum, sondern das Aufwachen – und zwar unendlich oft.
Nach dem siebten Mal Aufwachen in Folge, wobei sie jedes Mal eine andere Schlafhaube trug (was das Ganze noch verwirrender machte), schaffte sie es, sich mit einem panischen Satz aus dem Bett zu winden. Sie war nun hellwach, aber leider auch schon wieder klatschnass geschwitzt und mit einer Feder ihrer Lieblingsgans „Gundula“ im Mundwinkel.
„Verflixt und zugezaubert!“, knurrte sie und wischte sich die Feder weg.
Ihr erster Plan für den Tag: Magisches Brot backen. Eine einfache Aufgabe, dachte sie. Magie in etwas Alltägliches mischen! Das konnte ja nicht schiefgehen.
Sie schnappte sich das Rezept, welches sie von einer wandernden Irin gegen ein Glas Harzer Likör eingetauscht hatte. Darin stand: „Man nehme drei Finger Mehl, zwei Seufzer Salz und den Frühnebel vom Hexentanzplatz.“
Sie schlüpfte in ihre Gummistiefel und stolperte auf ihre Terrasse. Mit einem unachtsamen Schwung des Zauberstabes, der eigentlich nur den Nebel einfangen sollte, traf sie leider zuerst den hölzernen Zaunpfahl. Knack! Der Pfahl brach nicht nur ab, sondern katapultierte das daneben stehende Regenfass mit Schwung in den Gemüsegarten. Die Brunhildesche Züchtung von Zauberkürbissen – eine Rarität! – wurde durch die Flutwelle mitsamt der wertvollen Erde davongespült.
Nun gut, kein Nebel, kein ganzer Zaun, keine Kürbisse. Plan B: Den Brot-Zauber improvisieren!
Statt des Nebels nahm sie einfach ihre letzten drei gesammelten Tränen – die hatte sie vergossen, als die Einladung nach Thale wieder nicht im Briefkasten lag. Statt drei Finger Mehl nahm sie die ganze Hand, und zwei Seufzer Salz wurden zu einer ordentlichen Prise, die vom Kochlöffel abrutschte.
Sie murmelte die Beschwörungsformel, die sich reimte, und schob den Teig in den steinernen Ofen.
Doch als sie die Ofentür eine Stunde später aufriss, war das Brot nicht nur kohlschwarz verbrannt, sondern hatte sich auch zu einem perfekten, massiven Würfel verfestigt. Ein pechschwarzer, unbeweglicher Kubus.
Beim Versuch, den Würfel mit dem Schürhaken herauszuhebeln, rutschte sie auf dem nassen Steinboden aus. Sie krachte rückwärts in den offenen Mehlsack.
Als Sieglinde an die Tür klopfte, fand sie Brunhilde in der Küche – vollkommen mit Mehl bedeckt, wie ein unglücklicher Geist, und den schwarzen Brotwürfel betrachtend, der nun, aufgrund seiner Schwere, den Boden glatt durchbrochen hatte und zur Hälfte im Erdreich feststeckte.
„Brunhilde?“, fragte Sieglinde besorgt. „Sollten wir nicht lieber bei einfachen Salbei-Tees bleiben, bis die Post die Einladung fürs nächste Jahr verschickt hat?“
Brunhilde hustete eine Wolke Mehl aus und versprach feierlich: „Nur noch einen Zauber, liebe Sieglinde. Nur noch den Zauber, um den Brotwürfel wieder aus meinem Boden zu bekommen!“
Und so begann das nächste Abenteuer.
Der neue Tag brach an, aber Brunhilde steckte immer noch fest. Wortwörtlich.
Der Brotwürfel steckte halb im Küchenboden, und Brunhilde, immer noch mehlig und von ihrem Missgeschick völlig entnervt, sah ihn an, als hätte er ihr das letzte Einhornbiskuit gestohlen.
„Gut, Brotwürfel“, raunte sie, während Sieglinde in der Tür stand und den Kopf schüttelte. „Du bist gekommen, um zu bleiben, aber das werden wir ändern. Einfache Magie! Verschwinde!“
Sie hob den Zauberstab, einen sorgfältig geschnitzten Haselnusszweig, dessen Spitze sie leider seitlich mit dem Türrahmen verhakt hatte. Statt der komplexen Formel, die sie sich mühsam über Nacht ausgedacht hatte, rutschte ihr nur ein sehr unmagisches „Hoppla!“ heraus, kombiniert mit einem nervösen Zucken des Handgelenks.
Der Zauberstab riss sich los, flog durch die Küche und traf mit einem Pling den metallenen Deckel des Einmachglases mit den getrockneten Gänseblümchen.
Die Wirkung war unerwartet und, wie immer bei Brunhilde, völlig überdimensioniert:
Der schwarze Brotwürfel im Boden zitterte kurz, schien sich innerlich mit Gänseblümchen-Energie aufzuladen und explodierte dann nicht. Stattdessen verwandelte er sich schlagartig in eine glänzende, pechschwarze, perfekte Kugel von der Größe eines Mühlsteins.
Die Kugel, befreit vom Boden und offensichtlich dem Gesetz der Schwerkraft nur noch freundlich gesinnt, rollte mit donnernder Geschwindigkeit aus der offenen Küchentür, über den Hof und direkt auf den Ortskern von Quenstedt zu.
„Die Kugel! Halt die Kugel auf!“, rief Brunhilde entsetzt und rannte hinterher, ihre Gummistiefel schmatzten auf dem nassen Pflaster.
Sieglinde seufzte nur, hängte ihren Korb mit den frischen Pilzen an den Haken und murmelte: „Das war jetzt aber wirklich keine Kugel. Das war ein Würfel, Brunhilde! Ein simpler Würfel! Muss es denn immer gleich eine Katastrophe sein, wenn du zauberst?“
Doch da war die Kugel, oder das, was vom Würfel übrig war, schon auf dem besten Wege, den malerischen Ort Quenstedt in eine Pechkugel-Bowlingbahn zu verwandeln.
Mit einem gewaltigen Poltern erwischte sie zuerst den Marktstand des Fischhändlers Barthold des Bärtigen, der gerade seinen ersten Hering des Tages anpries. Heringe, Brotkugel und Barthold kullerten durch die Luft.
Als Nächstes rollte die Kugel direkt auf den frisch gepflasterten Dorfbrunnen zu. Brunhilde versuchte, mit einem „Stopp-und-bleib-steh-Zauber“ einzugreifen, doch da sie dabei stolperte und sich den Zauberstab am Kopf anschlug, drehte sich die Kugel nur noch schneller und Brunhilde, hatte sich selbst in der zeit eingezaubert.
Die Kugel nun doppelt so schnell, traf den Brunnen mit der Wucht einer kleinen Lawine. Das Steinbecken splitterte, und das gesamte aufgestaute Wasser schoss in einem hohen Bogen direkt über den Marktplatz.
„Der Frühling ist da!“, johlte Brunhilde in einem Moment des Wahnsinns.
Doch die Quenstedter johlten nicht. Die halbe Bevölkerung stand nun triefend da, während die schwarze Kugel, nun leicht mit Moos und Dorfbrunnen-Algen überzogen, unaufhaltsam weiter in Richtung des historischen Backhauses rollte.
Brunhilde sah Sieglinde an. Sieglinde sah Brunhilde an. Beide wussten: Brot war die eine Sache, das Backhaus, der Stolz von Quenstedt, war eine andere.
„Ich muss sie auflösen!“, keuchte Brunhilde und hob ihren Stab. „Kugel, werde Mehl!“
Sieglinde schrie noch: „Nein! Lass das!“, doch es war zu spät.
Mit einem dumpfen Knall löste sich die Kugel auf. Sie wurde nicht zu Mehl. Sie verwandelte sich in 1000 kleine, hartnäckige, brotwürfelförmige Kieselsteine, die mit der Geschwindigkeit eines Hagelschauers über den ganzen Ortskern verteilt wurden.
Die Kiesel prasselten auf die Dächer, die Köpfe der Bürger, die Wäscheleinen und vor allem auf die Scheiben des Backhauses, die nun klirrend zersprangen.
Brunhilde, die mehlbedeckte, wetterverzaubernde Unglückshexe, sank auf die Knie.
„Ich glaube“, hauchte Sieglinde, während sie einen der Kieselsteine aufhob und betrachtete. „Du hast nicht nur den Brotwürfel herausgezaubert, Brunhilde. Du hast ihn überall hin gezaubert.“
Brunhilde wird wohl nie nach Thale eingeladen werden.
Um die heutige Region um den Arnstein im Harz gab es eine kleine, große Hexe. Sie war groß an Statur und klein im Geiste. Heute würde man sagen, sie hatte beim Denken nicht allzu viel Glück, aber das nur am Rande.
Es trug sich zu im April, im Jahre des Herrn 327. Der Frühling nahm langsam Fahrt auf, überall blühte und grünte es. Die Tage wurden länger, die Nächte milder, und es stand ein Blutmond bevor.
Unsere kleine, große Hexe war auch dieses Jahr nicht zum Hexentanz nach Thale eingeladen. Möglicherweise war ihre Einladung nur in der Post verloren gegangen. Da das moderne Postwesen noch nicht erfunden war, wurden Vögel für die Erledigung dieser Arbeit rekrutiert. Wobei das aber auch eher suboptimal funktionierte, wie wir heute wissen. Natürlich hätte man auch „fuchsen“ können, aber die Füchse schliefen noch in ihren Bauen, so schied auch diese Möglichkeit aus.
Aber zurück zu Brunhilde.
Brunhilde wurde, wie schon erwähnt, nicht zum Hexentanz eingeladen, so vertröstete sie sich selbst auf das nächste Jahr. Bis dahin, nahm sie sich vor, würde sie in ihrem Bestreben, wahre Magie zu wirken, besser werden. So versuchte sie sich in einfachen Zaubern, wie dem Wetterzauber. Denn das war unabdingbar für eine richtige Hexe. So beschwor sie Stürme und Gewitter, mit Schnee, Eis und Hagel. Nur wollten diese Zauber ihr nicht recht gelingen, dachte sie. Über die Naturkatastrophen, die sie auf der anderen Seite des Gebirges auslöste, ahnte sie nichts.
Brunhilde hatte auch in der Ortsvorsteherin zu Quenstedt, Sieglinde, eine teure Freundin und Unterstützerin gefunden. Doch auch Sieglinde wusste keinen Rat.
Und so nahm die Geschichte ihren Lauf.
Eines schönen Morgens erwachte Brunhilde erholt und erfrischt aus einem Traum. Sie hatte Wetter gemacht und der Gemeinde zu Wohlstand verholfen. Doch wie es sich so verhält mit Träumen: Sie wurden nicht erfüllt. Statt Gold und Korn regnete es draußen – keine Spur von Wohlstand, dafür aber in Strömen.
Brunhilde seufzte. Das musste dieser vermaledeite Wiederholzauber sein, bei dem man angeblich alles, was man im Schlaf tat, am nächsten Tag wiederholen konnte. Nur leider hatte sie ihn am Abend zuvor versehentlich rückwärts gemurmelt. Jetzt wiederholte sich nicht der Traum, sondern das Aufwachen – und zwar unendlich oft.
Nach dem siebten Mal Aufwachen in Folge, wobei sie jedes Mal eine andere Schlafhaube trug (was das Ganze noch verwirrender machte), schaffte sie es, sich mit einem panischen Satz aus dem Bett zu winden. Sie war nun hellwach, aber leider auch schon wieder klatschnass geschwitzt und mit einer Feder ihrer Lieblingsgans „Gundula“ im Mundwinkel.
„Verflixt und zugezaubert!“, knurrte sie und wischte sich die Feder weg.
Ihr erster Plan für den Tag: Magisches Brot backen. Eine einfache Aufgabe, dachte sie. Magie in etwas Alltägliches mischen! Das konnte ja nicht schiefgehen.
Sie schnappte sich das Rezept, welches sie von einer wandernden Irin gegen ein Glas Harzer Likör eingetauscht hatte. Darin stand: „Man nehme drei Finger Mehl, zwei Seufzer Salz und den Frühnebel vom Hexentanzplatz.“
Sie schlüpfte in ihre Gummistiefel und stolperte auf ihre Terrasse. Mit einem unachtsamen Schwung des Zauberstabes, der eigentlich nur den Nebel einfangen sollte, traf sie leider zuerst den hölzernen Zaunpfahl. Knack! Der Pfahl brach nicht nur ab, sondern katapultierte das daneben stehende Regenfass mit Schwung in den Gemüsegarten. Die Brunhildesche Züchtung von Zauberkürbissen – eine Rarität! – wurde durch die Flutwelle mitsamt der wertvollen Erde davongespült.
Nun gut, kein Nebel, kein ganzer Zaun, keine Kürbisse. Plan B: Den Brot-Zauber improvisieren!
Statt des Nebels nahm sie einfach ihre letzten drei gesammelten Tränen – die hatte sie vergossen, als die Einladung nach Thale wieder nicht im Briefkasten lag. Statt drei Finger Mehl nahm sie die ganze Hand, und zwei Seufzer Salz wurden zu einer ordentlichen Prise, die vom Kochlöffel abrutschte.
Sie murmelte die Beschwörungsformel, die sich reimte, und schob den Teig in den steinernen Ofen.
Doch als sie die Ofentür eine Stunde später aufriss, war das Brot nicht nur kohlschwarz verbrannt, sondern hatte sich auch zu einem perfekten, massiven Würfel verfestigt. Ein pechschwarzer, unbeweglicher Kubus.
Beim Versuch, den Würfel mit dem Schürhaken herauszuhebeln, rutschte sie auf dem nassen Steinboden aus. Sie krachte rückwärts in den offenen Mehlsack.
Als Sieglinde an die Tür klopfte, fand sie Brunhilde in der Küche – vollkommen mit Mehl bedeckt, wie ein unglücklicher Geist, und den schwarzen Brotwürfel betrachtend, der nun, aufgrund seiner Schwere, den Boden glatt durchbrochen hatte und zur Hälfte im Erdreich feststeckte.
„Brunhilde?“, fragte Sieglinde besorgt. „Sollten wir nicht lieber bei einfachen Salbei-Tees bleiben, bis die Post die Einladung fürs nächste Jahr verschickt hat?“
Brunhilde hustete eine Wolke Mehl aus und versprach feierlich: „Nur noch einen Zauber, liebe Sieglinde. Nur noch den Zauber, um den Brotwürfel wieder aus meinem Boden zu bekommen!“
Und so begann das nächste Abenteuer.
Der neue Tag brach an, aber Brunhilde steckte immer noch fest. Wortwörtlich.
Der Brotwürfel steckte halb im Küchenboden, und Brunhilde, immer noch mehlig und von ihrem Missgeschick völlig entnervt, sah ihn an, als hätte er ihr das letzte Einhornbiskuit gestohlen.
„Gut, Brotwürfel“, raunte sie, während Sieglinde in der Tür stand und den Kopf schüttelte. „Du bist gekommen, um zu bleiben, aber das werden wir ändern. Einfache Magie! Verschwinde!“
Sie hob den Zauberstab, einen sorgfältig geschnitzten Haselnusszweig, dessen Spitze sie leider seitlich mit dem Türrahmen verhakt hatte. Statt der komplexen Formel, die sie sich mühsam über Nacht ausgedacht hatte, rutschte ihr nur ein sehr unmagisches „Hoppla!“ heraus, kombiniert mit einem nervösen Zucken des Handgelenks.
Der Zauberstab riss sich los, flog durch die Küche und traf mit einem Pling den metallenen Deckel des Einmachglases mit den getrockneten Gänseblümchen.
Die Wirkung war unerwartet und, wie immer bei Brunhilde, völlig überdimensioniert:
Der schwarze Brotwürfel im Boden zitterte kurz, schien sich innerlich mit Gänseblümchen-Energie aufzuladen und explodierte dann nicht. Stattdessen verwandelte er sich schlagartig in eine glänzende, pechschwarze, perfekte Kugel von der Größe eines Mühlsteins.
Die Kugel, befreit vom Boden und offensichtlich dem Gesetz der Schwerkraft nur noch freundlich gesinnt, rollte mit donnernder Geschwindigkeit aus der offenen Küchentür, über den Hof und direkt auf den Ortskern von Quenstedt zu.
„Die Kugel! Halt die Kugel auf!“, rief Brunhilde entsetzt und rannte hinterher, ihre Gummistiefel schmatzten auf dem nassen Pflaster.
Sieglinde seufzte nur, hängte ihren Korb mit den frischen Pilzen an den Haken und murmelte: „Das war jetzt aber wirklich keine Kugel. Das war ein Würfel, Brunhilde! Ein simpler Würfel! Muss es denn immer gleich eine Katastrophe sein, wenn du zauberst?“
Doch da war die Kugel, oder das, was vom Würfel übrig war, schon auf dem besten Wege, den malerischen Ort Quenstedt in eine Pechkugel-Bowlingbahn zu verwandeln.
Mit einem gewaltigen Poltern erwischte sie zuerst den Marktstand des Fischhändlers Barthold des Bärtigen, der gerade seinen ersten Hering des Tages anpries. Heringe, Brotkugel und Barthold kullerten durch die Luft.
Als Nächstes rollte die Kugel direkt auf den frisch gepflasterten Dorfbrunnen zu. Brunhilde versuchte, mit einem „Stopp-und-bleib-steh-Zauber“ einzugreifen, doch da sie dabei stolperte und sich den Zauberstab am Kopf anschlug, drehte sich die Kugel nur noch schneller und Brunhilde, hatte sich selbst in der zeit eingezaubert.
Die Kugel nun doppelt so schnell, traf den Brunnen mit der Wucht einer kleinen Lawine. Das Steinbecken splitterte, und das gesamte aufgestaute Wasser schoss in einem hohen Bogen direkt über den Marktplatz.
„Der Frühling ist da!“, johlte Brunhilde in einem Moment des Wahnsinns.
Doch die Quenstedter johlten nicht. Die halbe Bevölkerung stand nun triefend da, während die schwarze Kugel, nun leicht mit Moos und Dorfbrunnen-Algen überzogen, unaufhaltsam weiter in Richtung des historischen Backhauses rollte.
Brunhilde sah Sieglinde an. Sieglinde sah Brunhilde an. Beide wussten: Brot war die eine Sache, das Backhaus, der Stolz von Quenstedt, war eine andere.
„Ich muss sie auflösen!“, keuchte Brunhilde und hob ihren Stab. „Kugel, werde Mehl!“
Sieglinde schrie noch: „Nein! Lass das!“, doch es war zu spät.
Mit einem dumpfen Knall löste sich die Kugel auf. Sie wurde nicht zu Mehl. Sie verwandelte sich in 1000 kleine, hartnäckige, brotwürfelförmige Kieselsteine, die mit der Geschwindigkeit eines Hagelschauers über den ganzen Ortskern verteilt wurden.
Die Kiesel prasselten auf die Dächer, die Köpfe der Bürger, die Wäscheleinen und vor allem auf die Scheiben des Backhauses, die nun klirrend zersprangen.
Brunhilde, die mehlbedeckte, wetterverzaubernde Unglückshexe, sank auf die Knie.
„Ich glaube“, hauchte Sieglinde, während sie einen der Kieselsteine aufhob und betrachtete. „Du hast nicht nur den Brotwürfel herausgezaubert, Brunhilde. Du hast ihn überall hin gezaubert.“
Brunhilde wird wohl nie nach Thale eingeladen werden.
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