Der verlorene Zauber
Mit einem lustigen Lied auf den Lippen und einem leisen Rauschen zwischen den kleinen hauchdünnen Flügeln flattert Lyra zwischen den Wolken hin und her. Sie hat Langeweile und ist auf der Suche nach ihrer Freundin. Symphonie ist aber noch mit ihrer Arbeit, dem Wünsche erfüllen bei den Erdmenschen beschäftigt. Sie hat viel zu tun, denn bekannterweise hat ja jeder drei Wünsche frei.
Lyra hingegen muss Träume verteilen, doch sie hat keine Lust. Wozu soll sie auch jede Nacht zur Erde tingeln, um die blöden Menschen träumen zu lassen. Viel lieber will sie mit Sym, so nennt sie ihre Freundin, Streiche aushecken. Es macht einen Heidenspaß, die anderen Feen und Himmelsbewohner zu ärgern. Ab und zu werden sie von dem Sandmann erwischt und bekommen eine Strafarbeit aufgebrummt. Einmal mussten sie den Regenbogen putzen! Das war eine tagelange Plage, den zu wienern, damit er wieder in den herrlichsten Farben schillern konnte. Denn nur blitze blank kann er sich den Menschen in aller Pracht zeigen, die tatsächlich glauben, dass sie am Ende des Regenbogens einen Schatz finden, würden sie das Ende jemals erreichen. Darüber können die guten Himmelsgeister nur müde schmunzeln kennen sie ja die Wahrheit über den Regenbogen.
Mittlerweile ist Lyra bei Wolke7 angekommen, die heute ihr wunderschönstes rose´ Kleid trägt. Hier hofft sie auf Uriel zu treffen. Der hat eine sehr wichtige Aufgabe, nämlich die Liebe zu verteilen, während sein bester Freund Orbi für die Hoffnung zuständig ist. Beide Wolkenhüpfer sind sehr faul und nachlässig mit ihrer Arbeit und werden von den Feen oft zur Ordnung gerufen. Die Menschen bekommen das oft genug zu spüren, zum Beispiel in Form von Liebeskummer und vielem mehr. Umso besser ist es, dass die Menschen die vier Freunde nie zu Gesicht bekommen, obwohl sie ständig um sie herum sind.
In dieser, einer von vielen rose´Wolke, kann sie Uriel nirgends entdecken. Lyra entschließt sich laut nach dem Freund zu rufen. Er muss da sein! Uriel und Orbi können ja nur hüpfen und die nächste Wolke ist noch zu weit weg, dazu sind es auch sehr graue, die Unheil verheißend aussehen. Da geht sowieso keiner hin. Wer will schon auf einer Gewitterwolke hocken.
„Hallo, halloho! Wo seit ihr denn?“, ruft Fee Lyra mit ihrem zarten Stimmchen, das dennoch in jeder Ecke der Wolke gehört wird. Feenstimmen verursachen nämlich von ganz alleine ein Echo. „Echo, Echo!“, neckt Uriel zurück und freut sich diebisch, dass man ihn nicht sehen kann. „Komm sofort aus deinem Versteck, ich werde gleich ärgerlich!“, wettert Lyra und schaut sich dabei verzweifelt um. "Wo ist der Blödmann nur?", schimpft sie vor sich hin.
Kaum ausgedacht, hört Fee Lyra ein dumpfes Geräusch hinter sich und dreht sich erschrocken um. Uriel und Orbi, die beiden unzertrennlichen Wolkenhüpfakrobaten sind gleichzeitig aus der 2. Etage des unendlich großen Himmelszeltes hinunter gehüpft und rummsend hinter der Fee gelandet. Uriel hat sich nämlich gedacht, dass es besser sei, Orbi zur Unterstützung gleich mitzubringen. Dann gibt es nicht ganz so viel Schimpfe, weil er seine Freundin geneckt hat.
Vorwurfsvoll schaut Lyra die Jungs aus ihren leuchtende Sternenaugen an, doch schnell ist der kleine Ärger vergessen. Die lustig aussehenden Sommersprossen in den kleinen, spitzbübisch grinsenden Gesichtern scheinen ebenso wie die Himmelsgeschöpfe zu hüpfen. So kann Lyra nicht anders, als mit den beiden Kollegen in einen Lachkanon einzustimmen. Die Juchzer sind so laut, dass Freundin Symphonie es bis zur übernächsten Wolke hört und angeflattert kommt, kaum, dass sie dem letzten Wunsch für diese Nacht erfüllt hat.
„Hallo ihr drei!“, kräht sie vergnügt. „Was ist denn mit euch los?“ Sym ist ein wenig verstimmt, weil sie nicht mitbekommen hat, warum die anderen so lachen. „Du musst doch nicht immer alles wissen“, zieht Lyra ihre beste Freundin auf. Die schaut mittlerweile immer bedrohlicher aus der Wäsche, und der Feenstaub verdunkelt ihr Gesicht immer mehr. Es wurmt sie, dass Lyra nichts sagt. Uriel und Orbi stupsen sich schon grinsend an. Auch sie wissen um die Gefährlichkeit von Sym´s Feenstaub. Man muss nämlich aufpassen, dass kein Staubkörnchen in die Seelenkörper der Feen gelangt. Dann ist all ihr Zauber zunichte und sie können ihre Arbeit bei den Menschen nicht mehr verrichten. Der Sandmann wird dann sehr böse und sie bekommen für eine Weile Hausarrest in einer Dunkelwolken von ihm aufgebrummt. So hat jede Fee ihre Eigenart auf, die man achten muss, wenn sie sich gegenseitig ärgern.
Lyra erkennt bei ihrer Freundin den Ernst der Lage und flitzt zu ihr, um ihr einen leckeren Feenschmatzer, der heute nach Erdbeersorbet schmeckt, auf die Wange zu drücken. Gerade noch rechtzeitig! Die kleine Staubwolke löste sich nämlich schon aus den blonden Schillerlocken. Das ist auch so eine Eigenart, alle Feenmädchen und Feenjungs sind blond. Nur, dass die Jungen kurze Locken haben und die Mädchen lange Schillerlocken, die mit einem der kleinen Ringen, die der Saturn vor vielen Jahren verloren hat, aus den kleinen alabasterweißen Gesichtern zurückgehalten werden.
Der Sandmann hatte sie auf einer Wolkenstraße gefunden und konnte sie dem Saturn nicht zurückbringen. Er hatte so viel mit dem Schlaf verteilen auf der Erde zu tun, so dass er den Weihnachtsmann, den er ja nur einmal im Jahr trifft, verpasst hatte. Der sollte nämlich die Ringe dem Saturnstern auf seinem fliegenden Rentierschlitten zurückbringen, so war sein Plan. Das Jahr darauf war es zu spät, denn in der Zwischenzeit hatte der Saturn seine Ringe neu angeordnet und brauchte die Verlorenen nicht mehr. So kam es, dass der Sandmann die Saturnringe den Feen für die hübschen Schillerlocken gegeben hatte.
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