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Feedback jeder Art Die Reise von Josef Maren Teil 8

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Die Reise von Josef Maren Teil 8

Tagebucheintrag von Josef Maren, Unteroffizier auf der Erzengel Flammensang 28.08.966.JdL


Ich habe die Nacht nicht geschlafen. Nicht, weil es mir an Müdigkeit mangelt. Mein Körper verlangt nach Ruhe, meine Lider sind schwer wie Blei, doch die Bilder der letzten Schlacht hielten meine Augen offen. Sobald ich sie schließe, flammt es wieder auf: das Donnern der Kanonen, das Kreischen der Drachen, das Splittern von Holz und Metall, die Schreie der Männer, die neben mir von Kugeln zerissen wurden. Es hallt in meinen Schläfen wider, wie ein Albtraum, aus dem es kein Entkommen gibt.

Heute werden wir die Zitadelle sehen. In vier Stunden, so sagt der Kapitän, erhebt sich ihre Silhouette über dem nördlichen Horizont. Seit Tagen schon tragen wir diesen Namen in uns – die Zitadelle von Eisfall. Ein Bollwerk aus Eis und Stein, das uns immer wie ein Märchen vorkam, wie ein ferner Mythos, den man mit Geschichten von Unbezwingbarkeit schmückt. Doch sie ist kein Mythos. Wir werden sie sehen, und wir werden auf sie stoßen und sie vernichten. So der Plan.

In der Nacht haben wir zwei weitere Schiffe verloren. Die Erzengel Eisenschwinge und die Siegesruf. Sie fielen nicht im donnernden Kampf, im Ruhm brennender Salven, sondern leise, beinahe beschämt. Ihre Maschinen gaben einfach nach, gezeichnet von den Treffern der gestrigen Schlacht. Wir hörten die knarrenden Gestelle ächzen, dann das unheimliche Schweigen, als die Propeller stillstanden. Lautlos glitten sie in die Tiefe. Wir standen an der Reling, sahen die Schatten der Schiffsrümpfe im Mondlicht kleiner werden, bis die Explosionen am Boden die Stille zerrissen. Ein dumpfes, fernes Krachen, das uns daran erinnerte: Hunderte Brüder und Schwestern sind für immer fort. Weitere Namen, weitere Gesichter, die dem Weltenbrand hinzugefügt wurden.

Und doch – ich spüre, dass ihr Tod nicht vergebens war. Jeder Verlust gräbt tiefer in unser Fleisch, aber er brennt auch das Siegel unserer Bestimmung schärfer in unsere Seelen. Wir tragen das Licht, und das Licht fordert seine Opfer.

Die Männer bewegen sich stumm durch die Gänge. Aber nicht gebrochen oder fliehend, vielmehr wie stille Schatten, die ihren Platz kennen. Hier wird ein Stück Panzerung geflickt, dort wird ein Geschütz geölt, Munition nachgezählt, das Deck gescheuert vom Blut der Gefallenen. Ich gehe unter ihnen, nenne Namen, halte ihre Blicke. Manche sehen in meinen Augen, dass auch ich die Angst spüre – und genau darum vertrauen sie mir. Ich halte keine großen Reden, kein Pathos. Nur ein knappes Wort, ein Befehl, ein kurzer Zuspruch. Das genügt. Wir sind Soldaten. Wir wissen, was kommt.

Die Akademie lehrte uns große Worte: Pflicht, Ehre, Opfer. Doch erst jetzt begreife ich sie. Sie sind nicht bloß Schmuck, der den Krieg schön klingen lässt – sie sind Werkzeuge. Stahl für unsere Seelen. Wenn ich die Männer an meinen Kanonen sehe, wie sie trotz der Schreie und der Flammen weiter feuern, dann erkenne ich, was diese Worte wirklich bedeuten: Sie sind das Geflecht, das uns zusammenhält. Ohne sie wären wir nur Fleisch, das dem Feuer entgegengeht. Mit ihnen sind wir Teil des Werkes des Propheten.

Mein Glaube ist nicht geschwunden. Nein, er ist gewachsen. Nicht trotz des Schreckens den ich gestern erlebte, sondern wegen ihm. Als die Drachen vom Himmel fielen, als zwei der gewaltigen Schiffe Eisfalls brennend in die Tiefe stürzten, da wusste ich: wir sind mehr als rohe Gewalt. Wir sind Ordnung, die sich dem Chaos entgegenstell. Wir sind die, die den Willen des Propheten in die Welt hinaustragen.

Inmitten dieser Gedanken gibt es Gesichter, die bleiben. Gesichter von Männern, die neben mir fielen, zerrissen in Sekundenbruchteilen, und jene, die weitermachten, auch als unser Deck in Blut getränkt war. Ich habe sie notiert. Ihre Namen, ihre Eigenheiten: wer ein Vater war, wer ein Schelm, wer heimlich Gedichte schrieb oder Blumen sammelte. Wenn sie fallen, sollen sie nicht bloß Zahlen in einem Bericht sein. Ich will, dass jemand weiß, dass sie gelebt haben.

Heute Nacht habe ich gebetet. Zuerst zum Propheten, der uns Sinn und Richtung gibt. Ich dankte ihm für die Stärke, die uns trägt, und bat um Klarheit, damit ich, wenn die Zitadelle vor uns aufragt, das Richtige tue. Dann sprach ich zu Liam. Ich stellte mir vor, er stünde wie ein Bruder an meiner Seite, ein Schutzpatron, dessen Geist über mir wacht. Ich bat ihn, mir Mut zu geben, wenn das Feuer erneut über den Himmel bricht. Meine Gebete an den Propheten und an Liam flossen ineinander – das große Ziel und die persönliche Bindung, Sinn und Herz. Beides brauche ich.

Die Angst vor dem was mich erwartet ist da. Natürlich ist sie das. Aber sie lähmt mich nicht. Sie ist scharf wie ein Messer, doch ich habe beschlossen, sie zu halten, statt mich von ihr schneiden zu lassen. Ich verwandle sie in Pflicht, und meine Männer sehen das. Sie sehen, dass ihr Unteroffizier nicht bricht, und darum brechen sie nicht. Ihr Vertrauen ist mein Schild. Es ist mehr wert als jedes Abzeichen, das mich jemals erwarten könnte.

Weil ich weiß, dass wir die erste Welle sind, dass viele von uns nicht zurückkehren werden, habe ich einen Entschluss gefasst: Ich werde dieses Tagebuch sichern. Ich habe eine kleine Metallbox vorbereitet, eng an meiner Brust genäht. Sollte ich fallen, so soll diese Buch bleiben. Diese Seiten, meine Worte, sie sollen nicht im Rauch der Zitadelle vergehen. Vielleicht wird eines Tages jemand unter den Trümmern suchen und es finden. Dann wird mein Name nicht schweigen. Und mit ihm auch die Namen meiner Kameraden.

Zum Schluss schreibe ich für euch, Mama, Papa. Ihr habt mich in den Hallen des Industrieviertels geprägt und mich mit eurer Arbeit und eurem Willen zu dem Mann gemacht, der ich heute bin. Wenn dieses Tagebuch zu euch gelangt, weint nicht. Lacht. Erzählt die alten Geschichten, die ihr mir in den Nächten am Ofen erzählt habt. Pflanzt eine Blume für mich am Fenster. Ich will nicht, dass mein Name ein Kettengewicht für euch ist. Tragt ihn mit Stolz, nicht mit Schmerz. Ich gehe nicht in die Finsternis, sondern ins Licht.

In wenigen Stunden erhebt sich die Zitadelle vor uns. Die Männer blicken in die Ferne, und ich spüre es auch: das Gewicht und die Gewissheit. Wir sind nicht ein wildes Heer, das blind vernichtet. Wir sind die Hand, die Ordnung bringt. Und wenn mein Ende dort wartet, dann ist es kein sinnloses Sterben, sondern ein Teil des großen Werkes.

Ich lege den Stift jetzt nieder. Die Box an meiner Brust sitzt fest. Gleich werde ich zu meinen Männern gehen und neben ihnen stehen, wenn der Mittag uns die Zitadelle zeigt. Möge der Prophet uns führen. Und mögest du Liam bei mir sein. Bis zum Schluss.

— Josef Maren
 
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