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Feedback jeder Art Die Sage vom Ersten Gähnen

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Die Sage vom Ersten Gähnen

So höret denn, ihr Leut, eine alte und doch nie vergessene Sage, die man sich im Oberland zuflüstert, wenn das Feuer knistert und die Augenlider schwer werden.
In grauer Vorzeit, als die Wälder Oberbayerns noch dichter waren und die Sterne tiefer hingen, saßen fünf Jäger des Nachts um ein Lagerfeuer. Der Mond wachte über ihnen wie ein müder Hirte, und das Wild schwieg ehrfürchtig. Bierkrüge waren geleert, Geschichten erzählt, und eine sanfte Schläfrigkeit kroch aus dem Moos empor.
Da geschah es.

Jürgen, Sohn des Alois, bekannt für ruhige Hand und lauten Schnarcher, verspürte plötzlich eine fremde Macht. Ohne Willen, ohne Warnung öffnete sich sein Mund wie ein Scheunentor im Sturm. Weit, weiter als es je ein Mund zu tun gedachte. Er sog die Nachtluft ein, als wolle er den ganzen Wald verschlingen.

Die anderen Jäger fuhren zurück.
„Bei allen Heiligen!“, rief Sepp.
„Is des a Fluch?“, wisperte Toni.
Doch ehe sie noch ein Kreuz schlagen konnten, erfasste das Unheil den nächsten. Heinz, der Schweigsame, begann zu beben. Seine Augen tränten, sein Kiefer spannte sich — und auch er öffnete den Mund zu einem uralten, bodenlosen Gähnen.

Da brach Panik aus.
Denn es war offenbar: Wer das Gähnen sah, war verloren. Einer nach dem andern fiel der seltsamen Mundseuche anheim. Gähnen hallte durch die Nacht wie der Ruf eines Dämonen. Die Jäger schrien, gähnten, schrien wieder und gähnten noch mehr. Das Feuer flackerte, als fürchte es selbst, angesteckt zu werden.

In blanker Angst ergriffen sie die Flucht.
Sepp rannte gen Norden und gähnte bis nach Hamburg.
Toni stolperte gen Osten und infizierte ein ganzes Wirtshaus.
Heinz verschwand im Süden, wo noch heute Kühe beim Melken gähnen.
Und Jürgen selbst? Man sagt, er sei bis heute unterwegs, den Mund nie ganz geschlossen.

So trugen sie das Gähnen hinaus in die Welt, über Dörfer und Städte, über Generationen hinweg. Und seither, so heißt es, breitet es sich aus — lautlos, unaufhaltsam, von Mensch zu Mensch.
Darum, wenn euch heute jemand anblickt, den Mund weit öffnet und tief Luft holt, so wisset:
Es begann einst an einem Lagerfeuer in Oberbayern.
Und wehe dem, der hinsieht.
 
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