Die Schatten des Propheten – Eine Untersuchung
Von Professor Elian Drosch, Fakultät für Philosophie der Universität Glanzhall
Dieser Text ist nicht für die Augen des Volkes bestimmt. Es ist ein Verbrechen, ihn zu lesen. Ein noch größeres, ihn zu schreiben. Sollte es je ans Licht kommen, wird mein Name verflucht und mein Körper brennen. Doch wenn ich schweige, stirbt die Wahrheit in Dunkelheit, und ich mit ihr.
Seit Jahrhunderten herrscht der Prophet über Glanzhall. So wird es uns gelehrt, so steht es in den Chroniken, so hallt es durch die Hymnen der Stadt. Und doch frage ich: Wo ist der Beweis seiner Existenz?
Niemand – nicht ein Bürger, nicht ein Soldat, nicht einmal der Bürgermeister – hat den Propheten je mit eigenen Augen gesehen. Alle Berichte sind Legenden, Predigten, oder Niederschriften der Priesterschaft. Die Statue zeigt ein verhülltes Antlitz, die Kathedrale der Endzeit bleibt für das Volk verschlossen. Dort, so heißt es, sitzt er. Aber könnte sie nicht genauso gut leer sein?
Ich stelle mir Fragen, die nicht gestellt werden dürfen:
Wenn der Prophet seit fast einem Jahrtausend regiert – wie ist das möglich? Ist er unsterblich? Oder hat er längst das Zeitliche gesegnet, und sein Tod wurde verschwiegen?
Wer spricht wirklich in seinem Namen? Sind es die Hohepriester? Der Rat der Admirale? Oder eine unsichtbare Kaste, die die Stadt wie Puppenspieler lenkt?
Warum gleichen alle Edikte, die „aus seiner Hand“ kommen, in Sprache und Stil den Schriften des Klosters?
Man könnte meinen, der Prophet sei gar keine Person, sondern eine Idee, ein Werkzeug, ein Mantel, unter dem eine Verschwörung agiert. Vielleicht war er einst real. Vielleicht nie. Vielleicht ist er nur das perfekte Phantom, das uns zu Gehorsam zwingt, weil wir ihn weder sehen noch widerlegen können.
Und dann frage ich: Wer sind die Verschwörer?
Die Priester, die seine Stimme imitieren?
Die Admirale, die seine Flotten führen?
Die Baumeister, die seine Statue errichteten, damit wir glauben, er blicke auf uns herab?
Oder – und dieser Gedanke verfolgt mich bis in den Schlaf – sind es wir selbst, die ihn am Leben halten, weil wir uns nicht vorstellen können, ohne ihn zu existieren? War der Prophet vielleicht nie mehr, als eine Idee, die in unseren Köpfen lebt?
Ich weiß, dass ich für diese Worte sterben werde. Hochverrat nennt man es, wenn man die Wahrheit sucht. Die Feuer der Arena werden mich verschlingen, und die Menge wird jubeln, während sie ruft: „Der Prophet lebt!“
Aber sollte nur ein Glanzhaller nach meinem Tod innehalten, den Blick heben, und sich fragen: Lebt er wirklich? – dann ist mein Opfer nicht vergebens.
Möge die Wahrheit überleben, auch wenn ich es nicht tue.
Prof. Elian Drosch
Von Professor Elian Drosch, Fakultät für Philosophie der Universität Glanzhall
Dieser Text ist nicht für die Augen des Volkes bestimmt. Es ist ein Verbrechen, ihn zu lesen. Ein noch größeres, ihn zu schreiben. Sollte es je ans Licht kommen, wird mein Name verflucht und mein Körper brennen. Doch wenn ich schweige, stirbt die Wahrheit in Dunkelheit, und ich mit ihr.
Seit Jahrhunderten herrscht der Prophet über Glanzhall. So wird es uns gelehrt, so steht es in den Chroniken, so hallt es durch die Hymnen der Stadt. Und doch frage ich: Wo ist der Beweis seiner Existenz?
Niemand – nicht ein Bürger, nicht ein Soldat, nicht einmal der Bürgermeister – hat den Propheten je mit eigenen Augen gesehen. Alle Berichte sind Legenden, Predigten, oder Niederschriften der Priesterschaft. Die Statue zeigt ein verhülltes Antlitz, die Kathedrale der Endzeit bleibt für das Volk verschlossen. Dort, so heißt es, sitzt er. Aber könnte sie nicht genauso gut leer sein?
Ich stelle mir Fragen, die nicht gestellt werden dürfen:
Wenn der Prophet seit fast einem Jahrtausend regiert – wie ist das möglich? Ist er unsterblich? Oder hat er längst das Zeitliche gesegnet, und sein Tod wurde verschwiegen?
Wer spricht wirklich in seinem Namen? Sind es die Hohepriester? Der Rat der Admirale? Oder eine unsichtbare Kaste, die die Stadt wie Puppenspieler lenkt?
Warum gleichen alle Edikte, die „aus seiner Hand“ kommen, in Sprache und Stil den Schriften des Klosters?
Man könnte meinen, der Prophet sei gar keine Person, sondern eine Idee, ein Werkzeug, ein Mantel, unter dem eine Verschwörung agiert. Vielleicht war er einst real. Vielleicht nie. Vielleicht ist er nur das perfekte Phantom, das uns zu Gehorsam zwingt, weil wir ihn weder sehen noch widerlegen können.
Und dann frage ich: Wer sind die Verschwörer?
Die Priester, die seine Stimme imitieren?
Die Admirale, die seine Flotten führen?
Die Baumeister, die seine Statue errichteten, damit wir glauben, er blicke auf uns herab?
Oder – und dieser Gedanke verfolgt mich bis in den Schlaf – sind es wir selbst, die ihn am Leben halten, weil wir uns nicht vorstellen können, ohne ihn zu existieren? War der Prophet vielleicht nie mehr, als eine Idee, die in unseren Köpfen lebt?
Ich weiß, dass ich für diese Worte sterben werde. Hochverrat nennt man es, wenn man die Wahrheit sucht. Die Feuer der Arena werden mich verschlingen, und die Menge wird jubeln, während sie ruft: „Der Prophet lebt!“
Aber sollte nur ein Glanzhaller nach meinem Tod innehalten, den Blick heben, und sich fragen: Lebt er wirklich? – dann ist mein Opfer nicht vergebens.
Möge die Wahrheit überleben, auch wenn ich es nicht tue.
Prof. Elian Drosch