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Nur Kommentar Drei Birken und ein Findling

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Im Hohen Venn, irgendwo um drei Ecken herum auf einem lang gestreckten, grasigen Wanderweg gelaufen und dann auf den Bohlensteg gewechselt,
stehen - eng aneinandergereiht - drei schlanke Birken. Sie umringen halb einen Findling, der leicht vor den Birken liegt, an einer Seite moosbewachsen, auf der anderen Seite sitzen Flechten.
Birken sind immer schlank, ja. Sie stehen auch selten ganz allein da.
Und dann und wann liegt durchaus auch ein Findling in ihrer Nähe.
Nun stehen sie hier im Venn, nah beieinander und sie erzählen eine Geschichte.

Drei junge Mädchen, Schwestern.
Allesamt nacheinander geboren, der Vater wollte einen Sohn, erhielt seiner statt jedoch die Mädchen. So ging es oft im Leben, man betet für das eine und erhält etwas anders. Ein Sohn war ihm nicht vergönnt gewesen. Gott weiß, warum.
Die jungen Mädchen.
Gingen dort auf einem anderen, älteren Steg entlang.
Sie hatten Beeren zu pflücken, für den Winter.
Die Familie war arm, wie die meisten in der Gegend, denn was gab es hier schon, außer dem tief schweigenden Wald, dem dunklen Moor mit seinen wilden Beeren und dem stetig wechselnden Wetter?

Und es war zudem auch noch Krieg, hörte man die Leute sagen.

Der Priester unten im Dorf hatte die drei heranwachsenden Mädchen bereits eine Weile argwöhnisch betrachtet.
Denn die jungen Kerle im Gottesdienst hörten ihm noch weniger zu, wenn diese drei Gören scheinbar brav in ihrer angedachten Reihe standen, mit ihren gesenkten Köpfen und den reinen, weißen Hauben auf dem sauber geflochtenen Haar. Machten einen sittsamen Eindruck, doch die Jungen und auch er selbst hatten es im Gespür - von ihnen ging nichts Gutes aus. Früher oder später würde es Scherereien geben.

Bald.

Und als sie also in den Beeren waren und jede in ihrer Tonlage in trauter Gemeinschaft ein kleines Lied sangen, als sie einander gelöst und zufrieden mit blau glänzenden Lippen und lila Zungen zulächelten, denn es gab in diesem Sommer viele Beeren und sie waren süß noch dazu - da traten drei Kerle feurig-dunkel blickend und entschlossen hinter einer Baumgruppe aus ihrer Verborgenheit hervor.

Die Mädchen hatten sie nicht bemerkt, sonst hätten sie ihre Schürzen nicht gerafft und die Haare nicht offen getragen.
Sie hatten sich allein gewähnt und durch das Moor geschützt. Niemand kam sonst her zu dieser Zeit, außer den anderen Frauen und Mädchen, die nach Beeren suchten.

Nun war es jedoch zu spät, das war den Dreien rasch bewusst. Es ging nicht anders, sie mussten sich dem fügen, was nun kam.

Elendig geschunden, beschmutzt und mit zerrissenen Kleidern schlichen sie viel später einander haltend und mit starren Gesichtern in die Kate der Eltern zurück. Doch es reichte ein prüfender Blick des Vaters und ihr Schicksal war besiegelt. Er sah, dass keine von ihnen mehr verheiratet werden könnte. Er sah, dass sie ihm Schmach und Schande gebracht hatten. Möglich, dass sie gar einen oder auch gleich mehrere Bälger gebaren, wenn es an der Zeit wäre.
Den Spaten aus dem Verschlag auf dem kleinen Hofplatz geholt, die bleich schweigende Mutter ins Haus verwiesen, schleifte er also die älteste Tochter in dröhnender Schweigsamkeit mit sich, die anderen folgten ergeben, stumm und steif.

Er kam schweren Ganges ohne die drei wieder, um mindestens 15 Jahre gealtert. Reinigte den Spaten vom Moor und was sonst noch an ihm hing, stellte ihn zurück in den Verschlag, warf einen stumpfen Blick auf seine schweigend und kalt wie ein Stein dasitzende Frau und ging in die Schänke im Dorf.

Dort ging es hoch her, man feierte ein Fest von dem er nicht wusste. Doch als er den Raum betrat, um sich zu betrinken ob seines Schicksals, das sich heute unabdingbar ins Schlechteste gewendet hatte, schwiegen die feiernden Kerle und drei von ihnen wendeten ihre bereits vor Trunkenheit schlierig-wässrigen Augen ab. Da wusste der Vater, die Täter brauchte er nicht zu suchen. Sie waren seit Stunden für ihre Tat gefeiert worden und würden am nächsten Tag in den Krieg ziehen wie Helden.

Dieser Krieg würde, wie jeder andere Krieg auch, grausam enden und auch die jungen Kerle würden nurmehr als Erinnerungen aus ihm zurückkehren, aber das konnte an diesem Abend niemand wissen.

Die Frau und den Hof vergessend machte der Vater kehrt, auch seine Mütze ließ er an einem der Nägel neben der schiefen Tür hängen und verließ die Schänke und auch das Dorf.

Er kam nie zurück.

Und als die Frau nach Tagen nicht zum Markt erschienen war und auch sonst nicht weiter gesehen wurde, ging der Pfarrer hinaus zu der Kate. Sie lag verlassen da. Die Hühner standen in der offenen Tür, sie scharrten in der Asche des verloschenen Herdfeuers und hatten sich auf den Strohmatten in den Alkoven der Kate niedergelassen und ihre Eier dort gelegt - kein Mensch war da.

Die Kate verlassen, die Menschen fort.

Erst eine Weile später fand man die Mädchen und auch deren Mutter. Ihre zarten Gesichtszüge sahen recht unbehelligt und klar aus im Moorwasser, als eine alte Einsiedlerin auf der Suche nach den letzten Pilzen des Jahres sie im Venn erblickte.

Sie war es dann auch, die die Birkenstecklinge neben den Findling setzte. So waren die Mädchen mit der Mutter vereint, bis die Bäume dem Moor im Lauf der Zeit zurückgegeben werden würden.

Im Dorf schwieg man über das, was sich zugetragen hatte. Doch in Küchen und Kammern, bei der Beerensuche und am Waschzuber fielen leise Worte, die an das Ende der Mädchen und deren Mutter erinnerten.

Nicht selten stand in den ersten Jahren nach den Geschehnissen am Findling bei den Birken im Hohen Venn ein kleiner geflochtener Korb mit Beeren oder es lagen ein paar Pilze dort. Manchmal war es auch ein Strauß Wildblumen. Mit den Jahren geriet diese Geste jedoch in Vergessenheit.

Was aus dem Vater geworden ist, kann niemand sagen. Vielleicht ist auch er in den Krieg gezogen.

Man weiß es nicht.

Die Birken jedoch stehen dort bei dem Findling. Mag sein, dass es nicht mehr die Stecklinge der Einsiedlerin sind, sondern deren Nachkommen, doch der Stein ist noch der Alte.



Von einer Wanderung im Hohen Venn inspiriert, September 2025.
 
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