Die alte Festung längst zerfallen. Die überwucherten Mauern türmen noch zu den Baumwipfeln. Schlingpflanzen und Ranken klettern emsig die Furchen hinauf. Und in dem verwilderten Hof, am Rande der kunstvollen Fontäne, hockt der dichtende Ritter mit seinem langen blauen Umhang. Feder und Pergament in Händen, ein Gedicht hier zu vollenden. Er hält inne, blickt nach oben, sieht die Sonne, schimmern durch die Kronen. Still ist es um ihn. Nur ein paar Vögel singen, versteckt im Geäst. Still ist es in ihm. Leise kräuseln sich die Wellen, fällt ein Gedanke wie ein Tropfen. Versucht auf dem Pergament, Himmel, Meer, Tiefe und Weite, mit Sehnsucht und Leidenschaft, Verlangen und Verzweiflung, und der Hitze des Feuers zu vereinen. Der Boden bebt.
Erst ein sanftes vibrieren, nun Schritte der Erschütterung herbeigestampft aus dem Schatten der alten Zitadelle und ihrer verborgenen Krypta. Der Ritter legt seine Gedanken beiseite, bringt sich in Position, greift zum Schwert und hält den Griff fest umklammert, bis das Ding vor ihm steht und seinen Schatten auf ihn herab wirft. Ungerührt weicht er keinen Schritt und wartet, als wäre ihm, das Ding vertraut. Ein großer Topf aus Stein ist es. Mit dicken Armen und auf zwei gebeugten Beinen. Kein Gesicht, doch reich verziert mit schon zerfallenden Figuren, Heldentaten, geschlagenen Schlachten.
„Wer seid Ihr? Sprecht! Und nennt mir Euer Begehr!“, fordert der tapfere Rittersmann.
Der Topf verschränkt die Arme und schüttelt sich vor tiefem Lachen, als würde es in ihm widerhallen. Dann spricht er, mit einer noch tieferen Stimme, doch hohl und wie aus weiter Ferne. Schelmisch im Unterton, wie ein alter Gaukler, der sich über sein Publikum amüsiert.
„Ich bin auf der Suche nach wahren Helden. Ich suche… DEN Held! Einen Mann der alles verkörpert, was unter den Göttern einst, der Funke der Entstehung genannt. Mit Tapferkeit fing es an. Ich sammle sie… und mache sie in mir zu Legenden!“
„Ihr sprecht in Rätseln! Lasst mich allein, ich bin nicht interessiert an euren Geschichten!“
Der Topf lässt sich krachend zu Erden fallen und senkt das Haupt, der Deckel rutscht leicht nach unten, Stein mahlt auf Stein. Ein Gestank tritt hervor, der Ritter schreckt zurück und taumelt wie bereits tief verwundet. Der Topf packt zu und hält ihn fest. Unwiderstehlich stark. Hält ihn in der Luft, wo ihn weder Mut, noch Kraft, noch Schwert befreien wird.
„Werdet zur Legende!“
Der Topf schiebt sich den Deckel auf, Finsternis strömt mit Gestank hinaus. Und der Ritter erhascht einen Blick, auf das Grauen und wird verrückt. Unzählige Knochen, durchlöchert und gebrochen, Schimmel dicht wie Moos auf Steinen, verwesendes Fleisch mit Sehnen noch auf Gebeinen. Ein Mischmasch aus Menschenfleisch und Waffen, sogar ein großes Hirschgeweih. Alles schwimmt in einem dicken schwarzen Brei. Hinein wird der Ritter geworfen und der Deckel geht zu. Die Keilschrift leuchtet und versiegelt ihn. Der Topf er lacht erneut, als würde es ihn pervers erfreuen. Langsam stampft er wieder davon in die Dunkelheit, zurück in sein Loch und hockt sich wieder an die Mauer.
Draußen im Hof singen die Vögel, als wäre nichts gewesen. Die Halme tanzen im sanften Wind, Fliegen surren durch die Luft. Nur ein leeres Pergament und eine Feder liegen noch auf dem Fontänenrand, und ein schwarzes Pferd, wartet draußen vor dem Torbogen, vergebens auf seinen Reiter, der zu den anderen Helden sich gesellte und zur Legende geworden.
„Ho ho ho ho ho…“