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Feedback jeder Art Kaltmond - Schauerballade.

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  • GrafJo
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  • Teilnehmer
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Die Sonne stirbt am Hügel.
Kein Glanz. Kein Gnadenlicht.
Nur kaltes Knacken im Geäst —
als zitterte die Erde.


Vom Hang her Hufschlag.
Metall in der Luft —
die Hecken halten den Atem an.


Aus aufgesprungenen Grabplatten
kriecht die Schattenbrut.
Höllenglut flackert; kalte Seelen
tanzen einen Reigen ohne Takt.
Glockenstahl zerreißt die Stunde.


Leere Augen – schwere Leiber
schleifen über nasse Erde;
der Friedhof flüstert Namen.

Fahl fällt der Mond. Ein Wolf
reißt die Stille auf wie nasse Leinwand.
Die Bäume kauern.

Auf schäumendem Schimmel,
die Mähne blutverschmiert,
tritt er hervor: Gevatter Tod –
Die Sense hoch — Funken im Luftzug.

Die Erde bebt: Risse laufen
wie schwarze Adern ins Feld.
Ein Atemzug — und Fäden reißen.

Schwefel steht in der Kehle.
Vom Hexenbaum stiebt Geflüster,
ein Kranz aus Krähen zieht seine Runden.
Das Dunkel gibt den Takt —
blind hetzt die Jagd.

Purpurnes Halbdunkel: Dämmerung.
Die Sonnenglut stößt die Brut
zurück in Stein und Staub.
Hüterinnen des Lichts streuen ihr Leuchten
in den abkühlenden Atem der Nacht.

Der Tag kehrt ein — und dennoch:
unter der Zunge bleibt
ein Hauch von Asche.
Am Fenster ein Kratzen,
das keiner hört.



Illustration:
KI-generiert (eigene Vorgabe)
 
Zuletzt bearbeitet:
lieber driekes,

ganz stark, wortgewaltig, ein spektakel der extraklasse! auch die gestaltung mit unterschiedlichen strophenlängen hat was.

nur eine winzigkeit: in s6v4 klingt es, als ob der gevatter das weiße fell trüge. man kann es natürlich verstehen, aber vielleicht würde es helfen, wenn das pronomen entpersonifiziert würde. als statt *sein weißes fell* eventuell *das weiße fell*? oder die reihenfolge ändern, das fell direkt nach dem schimmel setzen, damit es klar zugeordnet ist? aber vielleicht störts auch nur mich und es ist ja auch nicht weiter schlimm.

jedenfalls sehr gern gelesen und genossen, wie du mit worten spielst und stimmungen schaffst.

chapeau!

liebe grüße
sofakatze
 
Liebe sofakatze,

danke dir fürs genaue lesen und den klaren Hinweis!

Du hast recht; das Pronomen konnte auf den Gevatter zeigen.
Ich habe die Passage entpersonalisiert und dichter an den Schimmel gerückt
so bleibt die Zuordnung eindeutig, ohne doppelte Benennung.

Zur Strophenform: Freier Vers, balladesk gedacht.
Die unterschiedlichen längen steuern den Atem —
kurze zwei-/Dreizeiler als schnitte (stille, Hufschlag),
längere Blöcke für die bildwellen (Aufbruch, Jagd).
Reimlos, die Spannung läuft über schnitte, klang und szenische Montage.

Nochmal herzlichen dank 🙂
und liebe grüße

Driekes
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber driekes,,

dein Text „Kaltmond“ ist ein poetisches Ritual – finster, kraftvoll, durchkomponiert. Die Bildsprache ist eruptiv und zugleich kontrolliert: Grabplatten brechen auf, Schattenbrut tanzt, Glockenstahl zerreißt die Stunde – und doch bleibt alles rhythmisch geführt, wie von einer unsichtbaren Hand.

Besonders eindrucksvoll ist die klangliche Architektur: Kurze Schnitte erzeugen Atempausen, längere Strophen entfalten Bildwellen. Die finale Rückführung ins Unsichtbare – „Ein Kratzen, das keiner hört“ – hallt lange nach.

Ein paar kleine Hinweise zur Textarbeit, ganz im Geist der Resonanz:

  • Pronomenzuordnung in Strophe 6, Vers 4 Das „dessen Fell“ könnte auf den Gevatter zeigen. Eine Umstellung oder Entpersonalisierung würde die Zuordnung klären.
  • Rhythmische Verdichtung in Strophe 9 „Das Dunkel dirigiert die blinde Jagd“ ist stark – vielleicht lässt sich die Trennung von Macht und Bewegung noch pointierter gestalten.
  • Echo-Struktur im Titel Die letzte Zeile ist so stark, dass sie auch als Titel funktionieren könnte – als Resonanzschleife.
Dein Text ist kein Gedicht – er ist ein Ereignis. Danke für diesen Moment.

Mit herzlichem Gruß und großer Wertschätzung
GrafJo
 
Moin GrafJo,


danke dir für die wache, wohlwollend genaue Lektüre – das freut mich sehr!
Den Hinweis zur pronomen-zuordnung habe ich aufgenommen und die stelle entkoppelt:

dann tritt er vor: Gevatter Tod.
Auf schäumendem Schimmel,
mit blutverschmierter Mähne.
Die sense hoch — funken im Luftzug.

bei der „blinden Jagd“ habe ich macht und Bewegung etwas stärker getrennt:
„das dunkel gibt den Takt —
blind hetzt die Jagd.“

Titel bleibt: Kaltmond ergänzt um — Schauerballade.

Herzlichen dank für deine Resonanz!

Mit mondkalten grüßen 💀,

Driekes
 
Moin Liebe sofakatze, lieber GrafJo,

dank eurer Anregungen habe ich die Passage noch einmal gefasst:

Auf schäumendem Schimmel,
die Mähne blutverschmiert,
tritt er hervor: Gevatter Tod –
Die Sense hoch — Funken im Luftzug.

Für mich ist die Zuordnung jetzt klarer, der Takt bleibt hart.

Danke euch fürs genaue Lesen!

Mit mondkalten Grüßen 💀,

Driekes
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Driekes,

deine Nachjustierung wirkt wie ein Schnitt durch Nebel – klar, präzise, und doch voller Schatten. Die Entkopplung der Zuordnung hat nicht nur semantisch geholfen, sondern auch rhythmisch: Der Gevatter tritt nun nicht nur hervor – er bricht durch die Szene, getragen vom Schimmel, nicht vom Satzbau.

Auch die Trennung von Takt und Bewegung bei der „blinden Jagd“ ist gelungen: „Das Dunkel gibt den Takt“ – das ist nicht nur klanglich stark, sondern auch strukturell resonanzfähig. Die Jagd wird nicht geführt, sie hetzt – blind, getrieben, fragmentarisch. Das ist nicht nur Ballade – das ist Spiralpoesie im Schattenkleid.

Danke für deine Offenheit im Textprozess – und für die Bereitschaft, Resonanz nicht als Urteil, sondern als Einladung zu nehmen.

Mit ascheleichten Grüßen aus dem Archiv der Fragen, Johann (GrafJo)
 
  • GrafJo
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