...
Teil 3
Die Felsenkirche der Wallfahrt
hat ein Geheimnis offenbart
Nach dem kleinen Abenteuer
marschieren die Burschen weiter.
Auch beim nächsten Lagerfeuer
ist die Stimmung äußerst heiter.
Tags drauf wird in Neuß gegessen,
erst nach der mittäglichen Zeit.
Abends wird es nicht vergessen:
Sie geh’n zur Wallfahrt, gar nicht weit.
Von der Stadt sind es drei Meilen
bis zu der Felsenkirche nur.
Um die Seelen sich zu heilen,
beten sie still in der Natur.
Der Felsen, einer Kirche gleich,
ist als ein Heiligtum bekannt.
Erbaut im spätrömischen Reich,
ist dieser Wallfahrtsort markant.
Man erzählt sich die Geschichte
von der Zeit der Hunnenstürme.
Erschreckt über dessen Dichte,
wand der Rhein sich als Gewürme.
Der Mann, der die Kirche baute,
hinterließ nach dem Ableben
sieben Töchter, denen graute
vor dem wilden Hunnenbeben.
Die Kirche stand jenseits vom Rhein.
Um den Fluss zu überwinden,
fällten die Hunnen einen Hain,
um Flöße aus Holz zu binden.
Furcht vor diesen wilden Horden
hatte schier jedermann im Land:
Plünderungen, Rauben, Morden,
Feuersbrünste, Frauenschand’.
Kirchen taten sie entweihen,
vergossen ihrer Feinde Blut.
Hilflos ließ man sie gedeihen,
ihre blinde Zerstörungswut.
Um Erbarmen zu erflehen,
war vergebliches Verlangen.
Gewalt prägte das Geschehen,
als Hunnen das Land durchdrangen.
Als die sieben Mädchen sahen,
wie die Fremden den Rhein querten,
flohen sie hin zu der nahen
Kirche, der als Schutz begehrten.
Dort baten sie in Gebeten,
die sie Vater offenbarten,
von dem sie Rettung erflehten,
als sie in der Kirche harrten.
Als nun die Hunnen an dem Tor
merkten, es war fest verriegelt,
sahen sie die Erstürmung vor,
was ihr Wesen widerspiegelt’.
Sie fällten Bäume in dem Wald,
der sich nah der Kirche befand.
Aus den Stämmen hatten sie bald
Leitern gebaut mit leichter Hand.
Die wollten sie an die Wände
stellen, um empor zu klettern.
Ob wohl das Tor widerstände,
beim Versuch, es zu zerschmettern?
Ein Stamm lag zum Rammen bereit,
als plötzlich das Tor ganz verschwand,
auch die Fenster zur gleichen Zeit –
es blieb nur eine Granitwand.
Was aus der Felsenmasse drang,
sehr lieblich und traurig zugleich,
klang so wie ein Totengesang
der Mädchen aus dem Himmelreich.
Es waren die Dankgesänge
der sieben Mädchen an den Herrn.
Es waren ganz leise Klänge,
das Leid blieb ihnen also fern.
Teil 4
Das geisterhafte Schloss Windeck,
ein Ort von Grusel, Schauder, Schreck
Zurück zu den Schützenhelden.
Nach dem Aufbruch vom Felsgestein
gibt es Zuwachs zu vermelden,
es treffen noch mehr Schützen ein.
Gewesen sind es zwanzig Mann,
die aus Köln sind hergekommen.
Der Trupp wächst aufs dreifache an,
stärker als je angenommen.
Doch nicht nur aus dem Kölner Land
wandern nach Kleve Schützen hin.
Es lockt der Preis aus zarter Hand
der allerliebsten Prinzessin.
Am Vortrag von dem Schützenfest
müssen sich die Männer sputen,
der allerletzte Streckenrest
ist weiter als sie vermuten.
So sehr sie sich auch beeilen,
nach Kervenheim zu gelangen,
um des Nachts dort zu verweilen,
der Plan ist nicht aufgegangen.
Sie finden das Tor verschlossen vor.
Aus der Traum von weichen Betten!
Ihr wildes Pochen an dem Tor
kann sie auch nicht mehr erretten.
Die Abendmahlzeit, heiß begehrt,
hungrig sind die Wandersleute,
wird der Truppe leider verwehrt,
murrend reagiert die Meute.
Dunkel ist es längst geworden,
als die Schützen weiterjagen.
Graue Wolken aus dem Norden
lassen Regen niederschlagen.
Unweit lassen sich ausmachen
die Umrisse von einem Schloss.
Euphorie will sich breit machen,
es winkt ein Lager für den Tross.
Hoch auf eines Berges Spitze
thront die alte Schlossruine.
In der Ferne zucken Blitze,
säße man nur vorm Kamine!
Das Bauwerk war einst elegant,
es war einmal ein Ritterschloss.
Als „Schloss Windeck“ ist es bekannt
in der Gegend wie ein Mythos.
Unterdessen fällt der Regen
wie im Wolkenbruch hernieder.
Dieses Schloss ist wie ein Segen,
ganz durchnässt sind alle Glieder.
Und der Hügel wird bestiegen,
es ist bereits finstere Nacht.
Droben seh’n sie das Schloss liegen,
vergangen ist längst seine Pracht.
Schwarz und drohend in dem Sturme
thront das Schloss auf jenem Berge,
überragt vom hohen Turme,
nähert man sich ihm als Zwerge.
Einer aber warnt eindringlich,
das Schloss Windeck zu betreten:
Der Älteste heißt Friederich,
spricht von Geistern im konkreten.
An dem unwirtlichen Orte
spuke der alte Rittersclan.
Unbefolgt, werden die Worte
als Aberglaube abgetan.
Noch bevor sie es erreichen,
entlädt sich ein Sturmgewitter.
"Das sei uns ein böses Zeichen!",
verkündet Friederich bitter.
Als ob er sich Spott verdiene,
schütteln einige die Köpfe.
Sie betreten die Ruine,
aufschreckend ein paar Geschöpfe.
Im ritterlichen Gehäuse,
von den Menschen längst verlassen,
haben Krähen, Fledermäuse,
sich seitdem niedergelassen.
Um die Dunkelheit zu brechen,
dienen Harzfackeln aus Tanne.
Sechzig Fackeln, die versprechen
Sicht für eine gute Spanne.
Ungeachtet den Appellen,
mögen auch Gefahren lauern,
Friederich folgt den Gesellen
in des Schlosses alte Mauern.
Unterm schweren Eisengitter,
das am Turme hochgezogen,
gehen sie, wie einst die Ritter,
durch des Tores runden Bogen.
Endlich befreit von dem Sturme,
hofft Friederich, sie bleiben hier.
Doch das Geviert von dem Turme
ist ein zu kleines Nachtquartier.
Der Innenhof ist übersät
von Trümmern uralter Steine,
doch was man außerdem erspäht,
sind die Trümmer nicht alleine.
Es reihen sich einander an
Wohngebäude ohne Verfall.
Hinter dem Ensemble, sieht man,
befindet sich der Außenwall.
Das zuvorderste Gebäude
enthält einen recht großen Saal,
mit Kamin zu ihrer Freude,
er wird das Quartier ihrer Wahl.
Ein Feuer ist schnell angemacht,
die Männer sind komplett durchnässt,
hungrig rüstet man sich zur Nacht,
als endlich auch der Sturm nachlässt.
An den Wänden stehen Bänke,
gute Schlafgelegenheiten,
man erzählt sich tolle Schwänke
aus den guten alten Zeiten.
Zur Schlafenszeit bestimmt das Los
vier Gefährten als die Wachen.
Zwei Stunden nur soll jeder bloß
den Wachdienst für alle machen.
Otto eröffnet ab halb zehn,
matt hört man die Kirchenglocken
aus Kervenheim herüberweh’n.
Er wacht gänzlich unerschrocken.
Während die anderen schlafen,
wandert Otto schweigend umher,
denkt an den alten Landgrafen,
vermisst er doch den Vater sehr.
Die Schicht vergeht schnell wie im Flug,
sie ist unscheinbar geblieben.
Als nächster ist Hermann am Zug,
die Pflicht lässt sich nicht aufschieben.
Otto hat den Freund sanft erweckt,
wie konnte er es nur wagen?
Träumend, hat er Braten geschmeckt!
Erwachend, knurrt ihm der Magen.
Eine gute halbe Stunde
verbleibt nur bis zur Mitternacht.
Hermann wacht über den Bunde,
anfänglich so wie ausgemacht.
Das letzte, was Otto noch sieht,
bevor ihn der Schlaf übermannt,
ist Hermann, der Posten bezieht
dabei auf etwas starrt, gebannt:
Eine Tür in der dunklen Wand,
nur schemenhaft auszumachen,
entdeckt hat sie vorhin niemand,
jäh will Hermann nicht mehr wachen!
Da hört er die Glocken schlagen
zur mitternächtlichen Stunde.
Größer wird sein Unbehagen
auf des Schlags letzte Sekunde.
Es öffnet sich abrupt die Tür
und aus dem Spalt dringt fahles Licht.
Ein Mädchen, nach Hermanns Gespür
sehr jung und schön, gerät in Sicht.
Hermann will zum Ruf ansetzen,
da mahnt sie, stille zu schweigen.
Wie mit unsichtbaren Netzen
lockt sie, ihm etwas zu zeigen.
Erst will er noch widerstehen,
jedoch ihn drängt die Eitelkeit.
Niemand soll ihn feige sehen,
erst recht kein Weib, das geht zu weit.
Teil 5
Die Geisterbraut drängt zur Hochzeit,
der Bräutigam ist ihr geweiht
Kann er den Posten verlassen?
Arg ist die Gewissensplage.
Soll er den Liebreiz verpassen?
Ihr Lächeln klärt diese Frage.
Hermann folgt ihr auf die Schwelle
in das angrenzende Zimmer,
ihre Lampe als Lichtquelle
erhellt es mit zartem Schimmer.
Huldvoll winkend dem Begleiter,
etwas Abstand sich erbeten,
zieht sie Hermann immer weiter,
wie mit magischem Magneten.
Und sie führt ihn durch Gemächer,
golden glitzert ihre Kette,
ihre Lampe wird bald schwächer,
zart ist ihre Silhouette.
Hermanns Fackel muss genügen,
als ihre Lampe nun erlischt.
Ihr zu folgen macht Vergnügen,
es hat ihn wirklich derb erwischt.
Endlich öffnet sie die Türe
eines schönen hellen Raumes,
in den sie Hermann entführe,
ist er Opfer eines Traumes?
In der Mitte steht ein Tischlein
mit zwei silbernen Gedecken.
Zart haucht sie: „Du sollst mein Gast sein!
Willkommen, lass es dir schmecken!“
Hermann zögert, ihre Gaben
ohne Verdienst anzunehmen.
Kann er sich daran erlaben,
an den Tische sich bequemen?
Sie zerstreut seine Bedenken
und stellt sich ihm als Bertha vor.
Er lässt sich charmant ablenken,
getroffen vom Pfeil des Amor.
Schloss Windeck sei ihr Zuhause,
sie der Familie letzter Spross,
spricht Bertha nach einer Pause,
sie sei die Herrin auf dem Schloss.
An der Wand hängen zwei Bilder
mit den Eltern, Mutter, Vater.
Ihre Stimme wird noch milder,
für Hermann wird’s delikater.
Anders als nach der Gewohnheit,
betet er nicht vor dem Essen.
Christlich-vornehme Höflichkeit
hat der Hungrige vergessen.
Aus einem Kelch voll rotem Wein,
der sich auf dem Tisch befindet,
schenkt sie nun Hermann galant ein.
Seine Distanziertheit schwindet.
Er leert das Glas in einem Zug,
lässt sich auch das Essen schmecken.
Fühlt sich auf einem Höhenflug,
ahnt nicht, was sie will bezwecken.
Schweigend lässt sie ihn genießen,
ohne es ihm nachzuahmen.
Zwingt sich, dem Drang zu verschließen,
nach der Art der Ritterdamen.
Noch zweimal füllt sie sein Glase
gastfreundlich mit dem Tropfen voll.
Er wähnt sich in einer Phase
der Euphorie, wie liebestoll.
Genießend den Leckerbissen,
der Wein verfehlt die Wirkung nicht,
ist Hermann ganz hingerissen
von ihrem Charme, der ihn besticht.
Bertha spielt auf einer Laute,
die dort liegt auf einer Truhe.
Singt vom Schützen, der vertraute
dem Burgfräulein ohne Getue.
Er lauscht der Balladenweise,
restlos begeistert vom Gesang.
Anschließend haucht sie ganz leise
mit honigsüßem Stimmenklang:
"Werde der Retter meines Stamms!
Willst du, Hermann, mich heiraten?"
Blutroter Wein tropft auf sein Wams,
er verschluckt sich fast am Braten.
Hermann besitzt nicht ein Stück Land,
doch hier winkt ihm ein ganzes Schloss!
Sein Wille ist in Berthas Hand,
er antwortet voller Pathos:
"Es wäre mir eine Ehre,
Bertha, weil ich dich so liebe!"
Wein verdirbt die Charaktere,
wenn er doch nur nüchtern bliebe!
Sie reicht ihm Ringe ganz aus Gold,
trägt einen Schleier als Brautschmuck.
Ein Blütenkranz ziert sie so hold,
verliebt ist ihr Gesichtsausdruck.
Für Hermann gibt es kein Zurück!
Schon reicht Bertha ihm die Hand.
Zu früh freut er sich auf sein Glück,
sie bringt ihn fast um den Verstand!
So kalt ist ihre Hand, wie Eis,
und ihre Haut auffallend blass.
Es dreht sich alles ihm im Kreis,
auf sein Gespür ist kein Verlass.
Sie führt ihn aus jenem Zimmer,
hinein in einen dunklen Gang.
Nur des Mondes leichter Schimmer
dringt zu den beiden am Anfang.
Stufen, die sie abwärts steigen,
sind im Dunkeln zu erahnen.
Hermann übt sich in Stillschweigen,
aus Furcht will ihm Böses schwanen.
Gerne möchte er umkehren,
doch Bertha hält ihn eisern fest.
Das tut seine Ängste mehren,
die Finsternis gibt ihm den Rest.
So sehr Hermann es auch schaudert,
führt ihn Bertha stetig weiter,
zwecklos, wenn er einmal zaudert,
hilflos, bleibt er ihr Begleiter.
Feuchtigkeit in diesen Gängen,
tropfend von den dunklen Wänden,
lassen den Verdacht aufdrängen,
dass sie sich im Grab befänden.
Als sie durch's Gewölbe schreiten,
dreht Bertha sich zur Rechten um.
Soll noch jemand sie begleiten?
Hermann lauscht ihren Worten stumm:
"Oh, Vater, lieber Vater mein,
Mächtigster von meinem Stamm,
du sollst bei meiner Hochzeit sein,
ich habe einen Bräutigam."
Darauf hört er dumpfe Schritte,
die ganz langsam nahe kommen.
Folgt des Vaters Geist der Bitte?
Hermann fühlt sich arg beklommen.
Dann dreht Bertha sich zur Linken,
wen will sie noch zu sich rufen?
Wer sieht sie im Dunkeln winken?
Sie ruft vor den nächsten Stufen:
"Oh, Mutter, liebe Mutter mein,
Edelste von meinem Stamm,
du sollst bei meiner Hochzeit sein,
ich habe einen Bräutigam."
Nach kurzer Zeit, wie geisterhaft,
folgt auch die Mutter hinterdrein.
Hernach lädt sie die Schwesternschaft
zum Hochzeitsfest als Gäste ein.
Die verzweigten dunklen Gänge
münden in eine Kirche ein.
Es geschieht, als ob entspränge
ein Priester aus dem Marmorstein.
Die Kirche ist ein Lichtermeer
aus Kerzen zu der Festlichkeit.
Hermann ist ohne Gegenwehr,
zur Trauung sind alle bereit.
Der Priester führt sie zum Altar,
um das Hochzeitspaar zu trauen.
Er segnet feierlich das Paar,
Hermann ist erfüllt von Grauen.
Er fühlt sich wie ein Opferlamm,
machtlos, kann weder flieh’n noch schrei’n.
Soll er der arme Bräutigam
eines weiblichen Geistes sein?
Teil 6
Rettung in allerhöchster Not
dem Bräutigam, bleich wie der Tod
Abseits von jenem Ritual,
erwacht Otto aus dem Schlummer.
Hermann ist nicht im großen Saal,
das bereitet Otto Kummer.
Die Tür, die Hermann hat fixiert,
steht nun einen Spalt breit offen.
Was ist nur mit dem Freund passiert,
fragt sich Otto ganz betroffen.
Zur nämlich vorgerückten Stund’
tritt Friederich zur Wache an.
Otto tut diesem sogleich kund
von dem Verschwinden des Hermann.
Friederich kann es kaum fassen:
"Hermann wird wohl verloren sein,
wenn er sich hat eingelassen
mit des Schloss Windecks Burgfräulein."
Ungeachtet von dem Fluche,
von dem Friederich gesprochen,
macht sich Otto auf die Suche,
kein Fluch soll ihn unterjochen.
Er durchwandert jene Gänge,
die schon Hermann hat beschritten.
Ganz von fern hört er Gesänge,
sie enden wie abgeschnitten.
Bald gelangt er an das Zimmer,
in dem Hermann hat gegessen.
Doch am Tisch sitzt sein Freund nimmer,
alte Leute sind's stattdessen.
Otto sieht zwei Rahmen blitzen,
deren Porträts sind verschwunden.
Sieht er sie leibhaftig sitzen
an dem Tisch, ganz traut verbunden?
An der Tür bleibt Otto stehen,
um die beiden nicht zu stören.
Bevor sie sich zu ihm drehen,
kann er ihr Gespräch anhören.
Ihre Art zu konversieren,
ist ungewohnt in jener Zeit.
Das Deutsch, in dem sie parlieren,
ist aus ferner Vergangenheit.
Doch versteht er, was sie sagen,
über Hermann, wie vermutet.
Die Frau will sich bös beklagen,
sie beweint, dass ihr Herz blutet.
Das Unglück, das sie so störe,
sei der Schwiegersohn, ein Schütze,
der zum Adel nicht gehöre,
was der Dynastie nicht nütze.
Der Mann gibt ihr einerseits Recht,
doch ist er keineswegs brüskiert.
Den Burschen findet er nicht schlecht,
mit dem die Tochter sich liiert.
„Seit mehr als zehn langen Jahren
war kein Fremder auf dem Schlosse.
Um die Dynastie zu wahren,
reicht auch ein schlichter Genosse.“
Außerdem gibt er zu denken,
dieser Jüngling aus dem Volke,
von der Tochter leicht zu lenken,
schwebe nicht auf hoher Wolke.
Plötzlich wechselt die Sprechweise
hin zum aggressiven Dröhnen.
Otto, zwar besonders leise,
ist entdeckt, will er argwöhnen.
"Trägt jemand eines Schützen Tracht",
hört Otto den Alten sagen,
"hat aber trotzdem Adelsmacht,
soll man ihn zum Teufel jagen!
Wie diesen Otto, diesen Wicht,
der lauschend an der Türe steht."
Der Angesprochne rührt sich nicht,
der Alte spricht wie ein Prophet.
"Der will die Hochzeit abwenden,
unserer Tochter großes Glück.
Sein Leben will ich beenden,
kehrt er nicht umgehend zurück.
Ich will seinen Schädel spalten!
Fort mit ihm zu den Gesellen!"
Drohend sieht Otto den Alten
mit dem Schwert auf sich zuschnellen.
Das sehr massive Eisenschwert
ist zum Hieb schon hoch erhoben,
doch Otto ist nicht unbewehrt,
sich im Kampfe zu erproben.
Auch er verfügt über ein Schwert,
bevor er dieses aber zieht,
macht er, was ihn als Christen ehrt,
das Kreuzzeichen, wobei er kniet.
In dem Augenblick verschwindet
der Wüterich mit seinem Schwert,
was Otto als Glück empfindet,
denn er bleibt völlig unversehrt.
Auch die Frau ist jäh verschwunden,
erloschen die Kerzenlichter.
Otto entdeckt unumwunden
in den Rahmen die Gesichter.
In seinem trüben Fackelschein
nimmt er ein Augenzwinkern wahr,
es soll des Alten Drohung sein,
dass nicht gebannt ist die Gefahr.
Endlich verlässt er das Zimmer,
ohne allerdings zu ahnen:
Seine Lage wird noch schlimmer
auf dem Schloss der Veteranen.
In der Galerie der Gänge
steigt er abwärts viele Stufen,
wieder hört er die Gesänge,
näher nur, um ihn zu rufen.
Bald gelangt er an den Kirchhof,
er sieht den hellen Lichterschein
in der Kirche mit dem Bischof,
geräuschlos tritt Otto herein.
Er wird Zeuge jener Heirat,
über die das Paar gesprochen.
Der Bischof steht in dem Ornat,
aus dem Marmor ausgebrochen.
Die betagten Eltern beide
sowie die ganze Schwesternschar
fiebern nach dem Trauungseide
von dem blutjungen Hochzeitspaar.
Otto sieht Hermann erzittern,
gleich wird er den Ring empfangen,
und im Schlosse von den Rittern
bleibt er ewiglich gefangen.
Hermanns Antlitz wird noch blasser.
Weil Otto es als Christ so kennt,
taucht er die Hand in Weihwasser,
bekreuzigt sich hierauf dezent.
Im dem Augenblick verschwinden
Bischof, Schwestern und Elternpaar.
Alle sind nicht mehr zu finden,
auch von der Braut bleibt nicht ein Haar.
Zugleich erlischt der Kerzenschein,
durch die Kirche fährt ein Beben,
die Auferstandnen aus dem Schrein
scheiden erneut aus dem Leben.
Ein Blitz erfasst den Altarraum,
Donner erklingt mit lautem Schall,
als Hermann, wie im bösen Traum,
vom Blitz getroffen kommt zu Fall.
Bewusstlos ist der Kamerad,
er liegt auf der Altarstufe.
Otto bittet um Gottes Gnad’,
dass er ihn nicht zu sich rufe.
Um ihn von dort fortzutragen,
schleppt er seines Freundes Masse
auf den Schultern ohne Klagen,
ob ihn die Kraft nicht verlasse?
Jedoch der Fackel schwacher Schein
erlischt zu Ottos Unglück jäh.
In diesem Labyrinth aus Stein
ist ohne Licht der Fortgang zäh.
Im Dunkeln und mit schwerem Tritt,
dabei tragend den Gesellen,
stößt er sich oft an dem Granit,
der Weg lässt sich kaum feststellen.
Er irrt ziellos durch die Gänge
und ist am Ende völlig platt.
Ob es einem Wahn entspränge,
dass jemand ihn gerufen hat?
Er antwortet mit letzter Kraft,
es sind die Schützen aus dem Saal.
Die Wache hat sie hergeschafft
als Suchmannschaft in großer Zahl.
Als sie die Gesuchten sehen,
liegen die auf kalten Steinen.
Dieser ist zu schwach zum Stehen,
jener will bewusstlos scheinen.
Hermann, der daraufhin erwacht,
und Otto, dessen Kräfte steigen,
erzählen, welch düstere Macht
des Nachts kam, um sich zu zeigen.
An Schlaf ist nicht mehr zu denken.
Die Schützen, als der Morgen graut,
sind froh, die Schritte zu lenken
fort von dem Schloss, weg von der Braut.
...
Teil 3
Die Felsenkirche der Wallfahrt
hat ein Geheimnis offenbart
Nach dem kleinen Abenteuer
marschieren die Burschen weiter.
Auch beim nächsten Lagerfeuer
ist die Stimmung äußerst heiter.
Tags drauf wird in Neuß gegessen,
erst nach der mittäglichen Zeit.
Abends wird es nicht vergessen:
Sie geh’n zur Wallfahrt, gar nicht weit.
Von der Stadt sind es drei Meilen
bis zu der Felsenkirche nur.
Um die Seelen sich zu heilen,
beten sie still in der Natur.
Der Felsen, einer Kirche gleich,
ist als ein Heiligtum bekannt.
Erbaut im spätrömischen Reich,
ist dieser Wallfahrtsort markant.
Man erzählt sich die Geschichte
von der Zeit der Hunnenstürme.
Erschreckt über dessen Dichte,
wand der Rhein sich als Gewürme.
Der Mann, der die Kirche baute,
hinterließ nach dem Ableben
sieben Töchter, denen graute
vor dem wilden Hunnenbeben.
Die Kirche stand jenseits vom Rhein.
Um den Fluss zu überwinden,
fällten die Hunnen einen Hain,
um Flöße aus Holz zu binden.
Furcht vor diesen wilden Horden
hatte schier jedermann im Land:
Plünderungen, Rauben, Morden,
Feuersbrünste, Frauenschand’.
Kirchen taten sie entweihen,
vergossen ihrer Feinde Blut.
Hilflos ließ man sie gedeihen,
ihre blinde Zerstörungswut.
Um Erbarmen zu erflehen,
war vergebliches Verlangen.
Gewalt prägte das Geschehen,
als Hunnen das Land durchdrangen.
Als die sieben Mädchen sahen,
wie die Fremden den Rhein querten,
flohen sie hin zu der nahen
Kirche, der als Schutz begehrten.
Dort baten sie in Gebeten,
die sie Vater offenbarten,
von dem sie Rettung erflehten,
als sie in der Kirche harrten.
Als nun die Hunnen an dem Tor
merkten, es war fest verriegelt,
sahen sie die Erstürmung vor,
was ihr Wesen widerspiegelt’.
Sie fällten Bäume in dem Wald,
der sich nah der Kirche befand.
Aus den Stämmen hatten sie bald
Leitern gebaut mit leichter Hand.
Die wollten sie an die Wände
stellen, um empor zu klettern.
Ob wohl das Tor widerstände,
beim Versuch, es zu zerschmettern?
Ein Stamm lag zum Rammen bereit,
als plötzlich das Tor ganz verschwand,
auch die Fenster zur gleichen Zeit –
es blieb nur eine Granitwand.
Was aus der Felsenmasse drang,
sehr lieblich und traurig zugleich,
klang so wie ein Totengesang
der Mädchen aus dem Himmelreich.
Es waren die Dankgesänge
der sieben Mädchen an den Herrn.
Es waren ganz leise Klänge,
das Leid blieb ihnen also fern.
Teil 4
Das geisterhafte Schloss Windeck,
ein Ort von Grusel, Schauder, Schreck
Zurück zu den Schützenhelden.
Nach dem Aufbruch vom Felsgestein
gibt es Zuwachs zu vermelden,
es treffen noch mehr Schützen ein.
Gewesen sind es zwanzig Mann,
die aus Köln sind hergekommen.
Der Trupp wächst aufs dreifache an,
stärker als je angenommen.
Doch nicht nur aus dem Kölner Land
wandern nach Kleve Schützen hin.
Es lockt der Preis aus zarter Hand
der allerliebsten Prinzessin.
Am Vortrag von dem Schützenfest
müssen sich die Männer sputen,
der allerletzte Streckenrest
ist weiter als sie vermuten.
So sehr sie sich auch beeilen,
nach Kervenheim zu gelangen,
um des Nachts dort zu verweilen,
der Plan ist nicht aufgegangen.
Sie finden das Tor verschlossen vor.
Aus der Traum von weichen Betten!
Ihr wildes Pochen an dem Tor
kann sie auch nicht mehr erretten.
Die Abendmahlzeit, heiß begehrt,
hungrig sind die Wandersleute,
wird der Truppe leider verwehrt,
murrend reagiert die Meute.
Dunkel ist es längst geworden,
als die Schützen weiterjagen.
Graue Wolken aus dem Norden
lassen Regen niederschlagen.
Unweit lassen sich ausmachen
die Umrisse von einem Schloss.
Euphorie will sich breit machen,
es winkt ein Lager für den Tross.
Hoch auf eines Berges Spitze
thront die alte Schlossruine.
In der Ferne zucken Blitze,
säße man nur vorm Kamine!
Das Bauwerk war einst elegant,
es war einmal ein Ritterschloss.
Als „Schloss Windeck“ ist es bekannt
in der Gegend wie ein Mythos.
Unterdessen fällt der Regen
wie im Wolkenbruch hernieder.
Dieses Schloss ist wie ein Segen,
ganz durchnässt sind alle Glieder.
Und der Hügel wird bestiegen,
es ist bereits finstere Nacht.
Droben seh’n sie das Schloss liegen,
vergangen ist längst seine Pracht.
Schwarz und drohend in dem Sturme
thront das Schloss auf jenem Berge,
überragt vom hohen Turme,
nähert man sich ihm als Zwerge.
Einer aber warnt eindringlich,
das Schloss Windeck zu betreten:
Der Älteste heißt Friederich,
spricht von Geistern im konkreten.
An dem unwirtlichen Orte
spuke der alte Rittersclan.
Unbefolgt, werden die Worte
als Aberglaube abgetan.
Noch bevor sie es erreichen,
entlädt sich ein Sturmgewitter.
"Das sei uns ein böses Zeichen!",
verkündet Friederich bitter.
Als ob er sich Spott verdiene,
schütteln einige die Köpfe.
Sie betreten die Ruine,
aufschreckend ein paar Geschöpfe.
Im ritterlichen Gehäuse,
von den Menschen längst verlassen,
haben Krähen, Fledermäuse,
sich seitdem niedergelassen.
Um die Dunkelheit zu brechen,
dienen Harzfackeln aus Tanne.
Sechzig Fackeln, die versprechen
Sicht für eine gute Spanne.
Ungeachtet den Appellen,
mögen auch Gefahren lauern,
Friederich folgt den Gesellen
in des Schlosses alte Mauern.
Unterm schweren Eisengitter,
das am Turme hochgezogen,
gehen sie, wie einst die Ritter,
durch des Tores runden Bogen.
Endlich befreit von dem Sturme,
hofft Friederich, sie bleiben hier.
Doch das Geviert von dem Turme
ist ein zu kleines Nachtquartier.
Der Innenhof ist übersät
von Trümmern uralter Steine,
doch was man außerdem erspäht,
sind die Trümmer nicht alleine.
Es reihen sich einander an
Wohngebäude ohne Verfall.
Hinter dem Ensemble, sieht man,
befindet sich der Außenwall.
Das zuvorderste Gebäude
enthält einen recht großen Saal,
mit Kamin zu ihrer Freude,
er wird das Quartier ihrer Wahl.
Ein Feuer ist schnell angemacht,
die Männer sind komplett durchnässt,
hungrig rüstet man sich zur Nacht,
als endlich auch der Sturm nachlässt.
An den Wänden stehen Bänke,
gute Schlafgelegenheiten,
man erzählt sich tolle Schwänke
aus den guten alten Zeiten.
Zur Schlafenszeit bestimmt das Los
vier Gefährten als die Wachen.
Zwei Stunden nur soll jeder bloß
den Wachdienst für alle machen.
Otto eröffnet ab halb zehn,
matt hört man die Kirchenglocken
aus Kervenheim herüberweh’n.
Er wacht gänzlich unerschrocken.
Während die anderen schlafen,
wandert Otto schweigend umher,
denkt an den alten Landgrafen,
vermisst er doch den Vater sehr.
Die Schicht vergeht schnell wie im Flug,
sie ist unscheinbar geblieben.
Als nächster ist Hermann am Zug,
die Pflicht lässt sich nicht aufschieben.
Otto hat den Freund sanft erweckt,
wie konnte er es nur wagen?
Träumend, hat er Braten geschmeckt!
Erwachend, knurrt ihm der Magen.
Eine gute halbe Stunde
verbleibt nur bis zur Mitternacht.
Hermann wacht über den Bunde,
anfänglich so wie ausgemacht.
Das letzte, was Otto noch sieht,
bevor ihn der Schlaf übermannt,
ist Hermann, der Posten bezieht
dabei auf etwas starrt, gebannt:
Eine Tür in der dunklen Wand,
nur schemenhaft auszumachen,
entdeckt hat sie vorhin niemand,
jäh will Hermann nicht mehr wachen!
Da hört er die Glocken schlagen
zur mitternächtlichen Stunde.
Größer wird sein Unbehagen
auf des Schlags letzte Sekunde.
Es öffnet sich abrupt die Tür
und aus dem Spalt dringt fahles Licht.
Ein Mädchen, nach Hermanns Gespür
sehr jung und schön, gerät in Sicht.
Hermann will zum Ruf ansetzen,
da mahnt sie, stille zu schweigen.
Wie mit unsichtbaren Netzen
lockt sie, ihm etwas zu zeigen.
Erst will er noch widerstehen,
jedoch ihn drängt die Eitelkeit.
Niemand soll ihn feige sehen,
erst recht kein Weib, das geht zu weit.
Teil 5
Die Geisterbraut drängt zur Hochzeit,
der Bräutigam ist ihr geweiht
Kann er den Posten verlassen?
Arg ist die Gewissensplage.
Soll er den Liebreiz verpassen?
Ihr Lächeln klärt diese Frage.
Hermann folgt ihr auf die Schwelle
in das angrenzende Zimmer,
ihre Lampe als Lichtquelle
erhellt es mit zartem Schimmer.
Huldvoll winkend dem Begleiter,
etwas Abstand sich erbeten,
zieht sie Hermann immer weiter,
wie mit magischem Magneten.
Und sie führt ihn durch Gemächer,
golden glitzert ihre Kette,
ihre Lampe wird bald schwächer,
zart ist ihre Silhouette.
Hermanns Fackel muss genügen,
als ihre Lampe nun erlischt.
Ihr zu folgen macht Vergnügen,
es hat ihn wirklich derb erwischt.
Endlich öffnet sie die Türe
eines schönen hellen Raumes,
in den sie Hermann entführe,
ist er Opfer eines Traumes?
In der Mitte steht ein Tischlein
mit zwei silbernen Gedecken.
Zart haucht sie: „Du sollst mein Gast sein!
Willkommen, lass es dir schmecken!“
Hermann zögert, ihre Gaben
ohne Verdienst anzunehmen.
Kann er sich daran erlaben,
an den Tische sich bequemen?
Sie zerstreut seine Bedenken
und stellt sich ihm als Bertha vor.
Er lässt sich charmant ablenken,
getroffen vom Pfeil des Amor.
Schloss Windeck sei ihr Zuhause,
sie der Familie letzter Spross,
spricht Bertha nach einer Pause,
sie sei die Herrin auf dem Schloss.
An der Wand hängen zwei Bilder
mit den Eltern, Mutter, Vater.
Ihre Stimme wird noch milder,
für Hermann wird’s delikater.
Anders als nach der Gewohnheit,
betet er nicht vor dem Essen.
Christlich-vornehme Höflichkeit
hat der Hungrige vergessen.
Aus einem Kelch voll rotem Wein,
der sich auf dem Tisch befindet,
schenkt sie nun Hermann galant ein.
Seine Distanziertheit schwindet.
Er leert das Glas in einem Zug,
lässt sich auch das Essen schmecken.
Fühlt sich auf einem Höhenflug,
ahnt nicht, was sie will bezwecken.
Schweigend lässt sie ihn genießen,
ohne es ihm nachzuahmen.
Zwingt sich, dem Drang zu verschließen,
nach der Art der Ritterdamen.
Noch zweimal füllt sie sein Glase
gastfreundlich mit dem Tropfen voll.
Er wähnt sich in einer Phase
der Euphorie, wie liebestoll.
Genießend den Leckerbissen,
der Wein verfehlt die Wirkung nicht,
ist Hermann ganz hingerissen
von ihrem Charme, der ihn besticht.
Bertha spielt auf einer Laute,
die dort liegt auf einer Truhe.
Singt vom Schützen, der vertraute
dem Burgfräulein ohne Getue.
Er lauscht der Balladenweise,
restlos begeistert vom Gesang.
Anschließend haucht sie ganz leise
mit honigsüßem Stimmenklang:
"Werde der Retter meines Stamms!
Willst du, Hermann, mich heiraten?"
Blutroter Wein tropft auf sein Wams,
er verschluckt sich fast am Braten.
Hermann besitzt nicht ein Stück Land,
doch hier winkt ihm ein ganzes Schloss!
Sein Wille ist in Berthas Hand,
er antwortet voller Pathos:
"Es wäre mir eine Ehre,
Bertha, weil ich dich so liebe!"
Wein verdirbt die Charaktere,
wenn er doch nur nüchtern bliebe!
Sie reicht ihm Ringe ganz aus Gold,
trägt einen Schleier als Brautschmuck.
Ein Blütenkranz ziert sie so hold,
verliebt ist ihr Gesichtsausdruck.
Für Hermann gibt es kein Zurück!
Schon reicht Bertha ihm die Hand.
Zu früh freut er sich auf sein Glück,
sie bringt ihn fast um den Verstand!
So kalt ist ihre Hand, wie Eis,
und ihre Haut auffallend blass.
Es dreht sich alles ihm im Kreis,
auf sein Gespür ist kein Verlass.
Sie führt ihn aus jenem Zimmer,
hinein in einen dunklen Gang.
Nur des Mondes leichter Schimmer
dringt zu den beiden am Anfang.
Stufen, die sie abwärts steigen,
sind im Dunkeln zu erahnen.
Hermann übt sich in Stillschweigen,
aus Furcht will ihm Böses schwanen.
Gerne möchte er umkehren,
doch Bertha hält ihn eisern fest.
Das tut seine Ängste mehren,
die Finsternis gibt ihm den Rest.
So sehr Hermann es auch schaudert,
führt ihn Bertha stetig weiter,
zwecklos, wenn er einmal zaudert,
hilflos, bleibt er ihr Begleiter.
Feuchtigkeit in diesen Gängen,
tropfend von den dunklen Wänden,
lassen den Verdacht aufdrängen,
dass sie sich im Grab befänden.
Als sie durch's Gewölbe schreiten,
dreht Bertha sich zur Rechten um.
Soll noch jemand sie begleiten?
Hermann lauscht ihren Worten stumm:
"Oh, Vater, lieber Vater mein,
Mächtigster von meinem Stamm,
du sollst bei meiner Hochzeit sein,
ich habe einen Bräutigam."
Darauf hört er dumpfe Schritte,
die ganz langsam nahe kommen.
Folgt des Vaters Geist der Bitte?
Hermann fühlt sich arg beklommen.
Dann dreht Bertha sich zur Linken,
wen will sie noch zu sich rufen?
Wer sieht sie im Dunkeln winken?
Sie ruft vor den nächsten Stufen:
"Oh, Mutter, liebe Mutter mein,
Edelste von meinem Stamm,
du sollst bei meiner Hochzeit sein,
ich habe einen Bräutigam."
Nach kurzer Zeit, wie geisterhaft,
folgt auch die Mutter hinterdrein.
Hernach lädt sie die Schwesternschaft
zum Hochzeitsfest als Gäste ein.
Die verzweigten dunklen Gänge
münden in eine Kirche ein.
Es geschieht, als ob entspränge
ein Priester aus dem Marmorstein.
Die Kirche ist ein Lichtermeer
aus Kerzen zu der Festlichkeit.
Hermann ist ohne Gegenwehr,
zur Trauung sind alle bereit.
Der Priester führt sie zum Altar,
um das Hochzeitspaar zu trauen.
Er segnet feierlich das Paar,
Hermann ist erfüllt von Grauen.
Er fühlt sich wie ein Opferlamm,
machtlos, kann weder flieh’n noch schrei’n.
Soll er der arme Bräutigam
eines weiblichen Geistes sein?
Teil 6
Rettung in allerhöchster Not
dem Bräutigam, bleich wie der Tod
Abseits von jenem Ritual,
erwacht Otto aus dem Schlummer.
Hermann ist nicht im großen Saal,
das bereitet Otto Kummer.
Die Tür, die Hermann hat fixiert,
steht nun einen Spalt breit offen.
Was ist nur mit dem Freund passiert,
fragt sich Otto ganz betroffen.
Zur nämlich vorgerückten Stund’
tritt Friederich zur Wache an.
Otto tut diesem sogleich kund
von dem Verschwinden des Hermann.
Friederich kann es kaum fassen:
"Hermann wird wohl verloren sein,
wenn er sich hat eingelassen
mit des Schloss Windecks Burgfräulein."
Ungeachtet von dem Fluche,
von dem Friederich gesprochen,
macht sich Otto auf die Suche,
kein Fluch soll ihn unterjochen.
Er durchwandert jene Gänge,
die schon Hermann hat beschritten.
Ganz von fern hört er Gesänge,
sie enden wie abgeschnitten.
Bald gelangt er an das Zimmer,
in dem Hermann hat gegessen.
Doch am Tisch sitzt sein Freund nimmer,
alte Leute sind's stattdessen.
Otto sieht zwei Rahmen blitzen,
deren Porträts sind verschwunden.
Sieht er sie leibhaftig sitzen
an dem Tisch, ganz traut verbunden?
An der Tür bleibt Otto stehen,
um die beiden nicht zu stören.
Bevor sie sich zu ihm drehen,
kann er ihr Gespräch anhören.
Ihre Art zu konversieren,
ist ungewohnt in jener Zeit.
Das Deutsch, in dem sie parlieren,
ist aus ferner Vergangenheit.
Doch versteht er, was sie sagen,
über Hermann, wie vermutet.
Die Frau will sich bös beklagen,
sie beweint, dass ihr Herz blutet.
Das Unglück, das sie so störe,
sei der Schwiegersohn, ein Schütze,
der zum Adel nicht gehöre,
was der Dynastie nicht nütze.
Der Mann gibt ihr einerseits Recht,
doch ist er keineswegs brüskiert.
Den Burschen findet er nicht schlecht,
mit dem die Tochter sich liiert.
„Seit mehr als zehn langen Jahren
war kein Fremder auf dem Schlosse.
Um die Dynastie zu wahren,
reicht auch ein schlichter Genosse.“
Außerdem gibt er zu denken,
dieser Jüngling aus dem Volke,
von der Tochter leicht zu lenken,
schwebe nicht auf hoher Wolke.
Plötzlich wechselt die Sprechweise
hin zum aggressiven Dröhnen.
Otto, zwar besonders leise,
ist entdeckt, will er argwöhnen.
"Trägt jemand eines Schützen Tracht",
hört Otto den Alten sagen,
"hat aber trotzdem Adelsmacht,
soll man ihn zum Teufel jagen!
Wie diesen Otto, diesen Wicht,
der lauschend an der Türe steht."
Der Angesprochne rührt sich nicht,
der Alte spricht wie ein Prophet.
"Der will die Hochzeit abwenden,
unserer Tochter großes Glück.
Sein Leben will ich beenden,
kehrt er nicht umgehend zurück.
Ich will seinen Schädel spalten!
Fort mit ihm zu den Gesellen!"
Drohend sieht Otto den Alten
mit dem Schwert auf sich zuschnellen.
Das sehr massive Eisenschwert
ist zum Hieb schon hoch erhoben,
doch Otto ist nicht unbewehrt,
sich im Kampfe zu erproben.
Auch er verfügt über ein Schwert,
bevor er dieses aber zieht,
macht er, was ihn als Christen ehrt,
das Kreuzzeichen, wobei er kniet.
In dem Augenblick verschwindet
der Wüterich mit seinem Schwert,
was Otto als Glück empfindet,
denn er bleibt völlig unversehrt.
Auch die Frau ist jäh verschwunden,
erloschen die Kerzenlichter.
Otto entdeckt unumwunden
in den Rahmen die Gesichter.
In seinem trüben Fackelschein
nimmt er ein Augenzwinkern wahr,
es soll des Alten Drohung sein,
dass nicht gebannt ist die Gefahr.
Endlich verlässt er das Zimmer,
ohne allerdings zu ahnen:
Seine Lage wird noch schlimmer
auf dem Schloss der Veteranen.
In der Galerie der Gänge
steigt er abwärts viele Stufen,
wieder hört er die Gesänge,
näher nur, um ihn zu rufen.
Bald gelangt er an den Kirchhof,
er sieht den hellen Lichterschein
in der Kirche mit dem Bischof,
geräuschlos tritt Otto herein.
Er wird Zeuge jener Heirat,
über die das Paar gesprochen.
Der Bischof steht in dem Ornat,
aus dem Marmor ausgebrochen.
Die betagten Eltern beide
sowie die ganze Schwesternschar
fiebern nach dem Trauungseide
von dem blutjungen Hochzeitspaar.
Otto sieht Hermann erzittern,
gleich wird er den Ring empfangen,
und im Schlosse von den Rittern
bleibt er ewiglich gefangen.
Hermanns Antlitz wird noch blasser.
Weil Otto es als Christ so kennt,
taucht er die Hand in Weihwasser,
bekreuzigt sich hierauf dezent.
Im dem Augenblick verschwinden
Bischof, Schwestern und Elternpaar.
Alle sind nicht mehr zu finden,
auch von der Braut bleibt nicht ein Haar.
Zugleich erlischt der Kerzenschein,
durch die Kirche fährt ein Beben,
die Auferstandnen aus dem Schrein
scheiden erneut aus dem Leben.
Ein Blitz erfasst den Altarraum,
Donner erklingt mit lautem Schall,
als Hermann, wie im bösen Traum,
vom Blitz getroffen kommt zu Fall.
Bewusstlos ist der Kamerad,
er liegt auf der Altarstufe.
Otto bittet um Gottes Gnad’,
dass er ihn nicht zu sich rufe.
Um ihn von dort fortzutragen,
schleppt er seines Freundes Masse
auf den Schultern ohne Klagen,
ob ihn die Kraft nicht verlasse?
Jedoch der Fackel schwacher Schein
erlischt zu Ottos Unglück jäh.
In diesem Labyrinth aus Stein
ist ohne Licht der Fortgang zäh.
Im Dunkeln und mit schwerem Tritt,
dabei tragend den Gesellen,
stößt er sich oft an dem Granit,
der Weg lässt sich kaum feststellen.
Er irrt ziellos durch die Gänge
und ist am Ende völlig platt.
Ob es einem Wahn entspränge,
dass jemand ihn gerufen hat?
Er antwortet mit letzter Kraft,
es sind die Schützen aus dem Saal.
Die Wache hat sie hergeschafft
als Suchmannschaft in großer Zahl.
Als sie die Gesuchten sehen,
liegen die auf kalten Steinen.
Dieser ist zu schwach zum Stehen,
jener will bewusstlos scheinen.
Hermann, der daraufhin erwacht,
und Otto, dessen Kräfte steigen,
erzählen, welch düstere Macht
des Nachts kam, um sich zu zeigen.
An Schlaf ist nicht mehr zu denken.
Die Schützen, als der Morgen graut,
sind froh, die Schritte zu lenken
fort von dem Schloss, weg von der Braut.
...