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Tinte unter der Haut

Der Regen hing wie ein grauer Vorhang über der Stadt, schwer von Staub und altem Rauch. In der kleinen Küche, deren Wände von feinen Rissen durchzogen waren, saß er still am Tisch. Die Hände lagen reglos auf der schmutzigen Tischplatte, die Augen verloren im matten Glanz der Fensterscheibe. Er hatte aufgehört, die Geräusche der Außenwelt wahrzunehmen – das Rattern der Straßenbahn, das gelegentliche Rufen eines Betrunkenen – alles wurde zu einem dumpfen, gleichförmigen Dröhnen, das in seinem Kopf widerhallte. Seine Schultern waren eingefallen, als würde eine unsichtbare Last ihn nach unten ziehen.
Langsam kroch die Verwandlung durch ihn hindurch. Zuerst nur in den Gedanken: fremde Bilder, die nicht zu ihm gehörten, Erinnerungen an Orte, an denen er nie gewesen war. Dann in den Körper: die Haut spannte, als würden darunter feine Linien entstehen, Adern von Tinte, die ihn von innen schwärzten. Das Licht der nackten Glühbirne über ihm flackerte kurz – und in diesem Augenblick war sein Spiegelbild im Glas nicht mehr das eigene. Die Augen blickten zu leer zurück, zu weit geöffnet, als würde die Figur im Fenster gar nicht wissen, was menschlich bedeutet.
Draußen ging das Leben weiter, stumpf und unbarmherzig. Drinnen aber löste sich Stück für Stück der Mensch auf – und etwas anderes nahm seinen Platz ein.
Die Veränderung fraß sich weiter durch ihn wie eine kalte Glut, die alles Gewohnte verkohlte. Sein Atem ging stoßweise, doch er merkte nicht einmal, wie seine Finger unruhig über den Tisch kratzten, als suchten sie Halt an der groben Holzmaserung. Die Geräusche von draußen verklangen nun völlig. Es war, als hätte jemand den Faden zur Welt durchtrennt. Stattdessen spürte er eine neue Präsenz – still, geduldig, lauernd – in den Ritzen zwischen seinen Gedanken. Sein Körper fühlte sich zu schwer und zugleich zu leicht an, als würde er in der eigenen Haut nicht mehr wohnen, sondern nur noch darin geduldet werden. Die Bewegungen waren nicht mehr seine, die langsame Drehung des Kopfes, das leise Zucken der Lippen – alles gesteuert von einer fremden Intention.
Und als die Glühbirne erneut flackerte, war da in seinen Augen ein Schimmer, der nicht von diesem Ort stammte: zu dunkel für Menschliches, zu alt für jede Erinnerung. Es atmete durch ihn, in ihm – und der Mensch, der er einmal war, sank irgendwo in die Tiefe, dorthin, wo kein Licht je hinreichen würde.
Er erhob sich langsam, wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Jeder Schritt hallte dumpf durch den schmalen Flur, als würde das Haus selbst den Atem anhalten. Staub tanzte im schwachen Licht, wirbelte auf, sobald er vorbeiging – und legte sich wie ein Schleier auf alles, was er berührte. Die Luft war schwer, so dicht, dass sie an seinen Schläfen pochte. Aus der Küche kroch ein schwacher Geruch nach verbranntem Brot, doch er nahm ihn nicht mehr als Warnung wahr – sondern als Willkommensgruß. Seine Finger strichen über den Türrahmen, hinterließen einen dunklen, kaum sichtbaren Film. Wo er vorbeikam, schien die Farbe von den Wänden zu weichen, als könne sein bloßes Dasein die Welt ausbleichen. Draußen fuhr ein Auto vorbei, das Motorengeräusch schnitt wie ein ferner, fremder Ruf durch die Stille. Er hielt inne. Die Lippen öffneten sich zu einem Lächeln, das nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Und dann setzte er den ersten Schritt hinaus – nicht als der Mann, der einst hier gelebt hatte, sondern als etwas, das gekommen war, um zu bleiben.

Was es ist

Es ist kein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern ein uraltes Bewusstsein, das nur dort existieren kann, wo innere Leere Platz macht für etwas Fremdes. Manche würden es einen „Schattengast“ nennen – ein Reisender ohne Ursprung, der von Körper zu Körper wandert, nicht um sofort zu vernichten, sondern um langsam die Grenzen des Selbst zu verwischen. Es hat weder Gestalt noch Stimme, aber es formt den Wirt nach seinem eigenen, undurchschaubaren Bild. Seine Ziele sind unklar, doch eines ist gewiss: Wer es einmal in sich trägt, wird nie wieder ganz frei sein.


Die Straßen lagen still, als er hinaustrat. Der Nebel, der zwischen den Häusern hing, verschluckte jedes Geräusch, bis selbst sein eigener Schritt wie eine ferne Erinnerung klang. In den Fenstern gegenüber flackerte das Licht eines Fernsehers – eine flüchtige Silhouette bewegte sich darin, doch als er den Blick hob, schien die Gestalt stehen zu bleiben und ihn anzusehen, als hätte sie ihn erwartet. Er blieb nicht stehen. Mit jeder Bewegung wirkte die Luft um ihn dichter, wie Wasser, das sich gegen eine unsichtbare Strömung stemmte. Passanten wichen ihm aus, ohne bewusst zu registrieren, warum; sie spürten nur eine bleierne Kälte, die sie instinktiv auf Distanz hielt.
An einer Straßenecke wartete ein Hund neben seinem Besitzer. Der Hund hob den Kopf, knurrte leise – doch als der Mann mit dem Schattengast in sich näherkam, verstummte er sofort, legte sich flach auf den Boden und presste die Ohren an den Schädel. In einem Laden löschte plötzlich das Licht, und eine Verkäuferin starrte auf die Eingangstür, als hätte sie für einen Augenblick vergessen, wie man atmet. Der Schattengast machte nichts, sprach nicht, griff nicht ein. Er war einfach da – und sein bloßes Dasein ließ Risse entstehen. Kleine, unsichtbare Brüche in der Normalität, die sich wie ein Spinnennetz ausbreiteten. Jede Faser der Stadt schien ihn zu bemerken, selbst wenn ihre Bewohner es nicht taten.
Er ging weiter, langsam, zielstrebig, als hätte die Nacht selbst ihm einen Weg vorgegeben. Und irgendwo, tief in den Schatten hinter ihm, begann etwas, diesen Weg zu erwidern.

Aus der Sicht von Maren, die an diesem Abend spät von der Arbeit kommt:

Sie bog in die schmale Gasse ein, in der das Pflaster immer etwas feucht wirkte, selbst nach Wochen ohne Regen. Die Luft roch nach altem Eisen und Moder. Ihr Blick glitt über die dunklen Hauseingänge – nur einer war erleuchtet, ein matter Kegel aus einer Straßenlaterne, unter dem eine Gestalt stand. Zuerst dachte sie, es sei nur jemand, der auf jemanden wartete. Doch als sie näherkam, bemerkte sie, wie still er stand. Nicht das unruhige Verlegenheitsstillstehen eines Menschen, der fröstelt – sondern reglos, wie eine Statue. Ein seltsamer Druck legte sich auf ihre Brust, als sie den Blick hob. Die Augen des Mannes fanden ihre, und es war, als hätte etwas in ihr kurz die Kontrolle übernommen: ein Zucken in den Fingern, ein Schritt nach vorne, den sie nicht geplant hatte.
Ihr Puls raste. Sie wollte etwas sagen, einen harmlosen Gruß, vielleicht sogar ein entschuldigendes Lächeln, doch ihre Lippen blieben geschlossen. In diesem Blick lag ein Alter, das sie nicht benennen konnte – und ein Verstehen, das nicht von ihr stammte.
Dann trat er zur Seite, als würde er ihr den Weg freimachen, doch Maren hatte das unerschütterliche Gefühl, dass der Weg, den sie nun gehen würde, nicht mehr der gleiche sein konnte wie zuvor.
Hinter ihr schloss sich die Gasse in lautloser Dunkelheit.
 
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