U N G E R E I M T E S
7.1.23, nachmittags in Dessau
So viele schöne Menschen!
Lächeln heiligt den Moment.
Der Bahnhof wirkt verstopft.
Niemand wird blockiert.
Verwunderte Blicke Unbeteiligter.
PTK heizt den Versammelten ein.
Füße beginnen zu tanzen.
Skeptisch schaut die Polizei.
Wer hören will, hört zu, versteht,
worum es hier gerade geht.
Vor achtzehn Jahren starb ein Mensch
in dieser Stadt, in „Polizeigewahrsam“, wie das heißt.
Mieseste Polizeiarbeit beweist,
dass mit ihm die Wahrheit begraben werden sollte.
Die Gerichte gaben sich letztlich zufrieden:
Der Korpsgeist funktioniert, also ist die Sache geklärt.
Wer verstehen wollte, verstand:
Das verläuft im Sand.
Diese Wahrheit ist gefährlich – für die Polizei,
für die Politik, für den deutschen Staat.
So legte man und pflegte man und hegte man
ganz wundergläubig ernst bemüht
die Verschleierkraut- und Lügensaat.
Das Dessauvolk war voll zufrieden, es gab,
ganz schnell erklärt, bloß einen Zellensuizid
von einem unbequemen Gast,
der sich wohl selbst gerichtet hat –
gefesselt auf dem Rücken hat er sich Houdini-mäßig entfacht.
„Beweismittel“ „bewiesen“, wie einfach er's gemacht':
Bericht, 7.1.05
In einer besonders sicheren Ausnüchterungszelle,
leer bis auf eine schwer entzündbare Matratze,
soll der Delinquent, welcher sich anmaßte,
im berauschten Zustand (?) zwei Dessauer Frauen
nach der Uhrzeit zu fragen,
welche daraufhin, solcherart bedroht, die Polizei riefen,
die auch prompt kam, den „einschlägig bekannten“ „Herrn“
"in Gewahrsam" zu nehmen - - -
spätestens hier gehen Zeugenaussagen, Schlüsse aus
Polizeiprotokollen sowie Schlüsse aus nichtstaatlich,
von antirassistischen Aktivist*innen betriebenen,
wissenschaftlichen, also forensischen Untersuchungen,
welche bei fragwürdigen Vorgängen ganz selbstverständlich
von Polizei und Staatsanwaltschaftz betrieben werden sollten,
welches jene aber auch erfindlichen Gründen nicht taten und
bis heute nicht konsequent tun wollen, so viele Indizien und
Beweise für Fremdverschulden (wer soll es dann gewesen sein,
am frühen Morgen, dort, im zentralen städtischen Polizeirevier?),
spätestens hier und dann immer weiter
gehen die Ansichten auseinander.
Und, dann?
Zottelhaarige Aktivist*innen – mutige Antirassist*innen,
machen also einen Job,
den die, die dafür kassieren, nicht tun.
Und sie machen es gut.
Sie fanden mit Beweismacht heraus:
An den Händen der Polizisten klebt Blut!
Das Blut nicht nur eines Ermordeten,
der in ihren „Gewahrsam“ geriet …
Du brauchst Zeit, wenn du die Geschichte nicht kennst,
du brauchst Empathie, sie mit dem Herzen zu verstehn.
Bleib einfach eine Weile dabei, hör zu, während wir weitergehn!
Die Menschen vom Bahnhof, teils von weit her,
ziehen durch Dessau und sprechen davon,
Jahr für Jahr.
Und es werden immer mehr.
Sie rufen Parolen, und tanzen und wissen:
Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht.
Und wenn auch erst beim Jüngsten Gericht ...
P.S.
Das ist ein Erinnerungs-Gedanken-Sprach-Steinbruch.
Ich wollte es kurz nach der jüngst erlebten Demonstration loswerden.
Als in Ansätzen teilverdichtetes Zwischenergebnis.
Ich bin kein Rapper, das merkt man sicher sofort.
Aber die gute, kraftvolle Stimmung, welche von der dort performten Musik
aufgenommen und verstärkt wurde, sollte sich im ungereimten Bericht und Gesang
etwas wiederfinden.