18. August 2019
Verlust heißt nicht verlierenDu hast dich zurückgezogen, eingeschlossen in deine Erinnerungen: die großen Momente, die einmaligen Erlebnisse, die vielen unscheinbaren, liebevollen Augenblicke des Alltags. Deine Große Liebe, sie fehlt dir so sehr! Wie soll es nach dieser langen Zeit nur weitergehen - ohne Sie? Kann es überhaupt weitergehen? Du willst eigentlich gar nicht mehr, aber du ringst dich durch. Zumindest zu dem einen Vorhaben, dass dir so am Herzen liegt. Es ist dir ein Anliegen, ein Bedürfnis, eine Pflicht: Ihr ganz persönlich die letzte Ehre zu erweisen. Du raffst dich auf. Du öffnest die Tür. Du trittst hinaus.
Doch was brandet dir entgegen, was trifft dich wie ein Schlag, was überflutet dich? Das pralle, pulsierende Leben: schwangere Frauen, tobende und schreiende Kinder, lachende Menschen, farbenfroher Trubel, heitere Betriebsamkeit. Bunt, laut, frech, achtlos. Du bist entrüstet. Will denn keiner wahrhaben, dass gerade eine Welt zusammengebrochen ist? Wo bleibt der Ernst, wo die Würde? Hastig enteilst du zum Gottesacker, dem Rückzugsort der Ruhe und des Friedens.
Du trittst an Ihr Grab. Du legst Blumen ab. Du willst zu Ihr sprechen. Du suchst Ihre Nähe. Doch du bleibst stumm. Kein Wort - nicht ein einziges - erscheint dir angemessen. Nichts beschreibt eure Liebe, nichts deinen Verlust. Dein Blick haftet am Grabstein. Du liest die Inschrift wieder und wieder. Natürlich kennst du sie auswendig. Du hast sie ja selbst festgelegt. Aber vergeblich mühst du dich ab den Sinn zu begreifen! Ach, dir wird ganz schwach. Du sackst auf deine Knie, fällst auf Ihr Grab. Indem du daliegst und versuchst Sie zu halten, hält dich nichts mehr. Hemmungslos rinnen Tränen über dein Gesicht und rinnen und rinnen. Jedoch allmählich, ganz behutsam, öffnen sie dein Herz: und Sie spricht zu dir!
Mit einem Mal durchströmt dich eine Kraft. Du richtest dich auf. Du erhebst dein Antlitz. Erfüllt von Ihrer Liebe zu dir und von deiner Liebe zu Ihr empfindest du nur noch eins: Dankbarkeit.
S. Athmos Welakis