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Feedback jeder Art Der Weihnachtsgast

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Am Weihnachstisch gibt es einen leeren Platz, der nur du einnehmen kannst. Er ist genauso gedeckt, wie jeder anderer Platz, mit dem feinen goldrandigen Porzellan, das von deiner Urgroßmutter stammt. Die frisch gestärkten Stoffservietten, ebenfalls ein Familienerbstück, mit den Initialien des Urgroßvaters bestickt, ein goldener Serviettenring, wie ein breiter Ehering, der den Zylinder zusammenhält. Dein einzigartiger, Kristall-Weihnachtskelch, den du ausschließlich zu diesem besonderen Anlass benutztest. Und gerade an diesem Weihnachtstag wird deine Anwesenheit sehr schmerzlich vermisst. Obwohl wir unseren Verlust mit Fassung tragen, und überspielen wenn unsere Gäste eintreffen. Wir begrüßen sie überschwänglich mittels einem strahlenden, ausgewachsenes Lächeln. Aber innerlich sind wir
zerbrochen. Unsere Knochen, Glassplitter die knirschen, verändern dauernd ihre Form, derweil wir versuchen, uns in die fröhliche Weihnachtszeit zu begeben. Niemand würde es bemerken, aber wir fühlen uns, als wären wir unter Wasser. Wir bewegen uns mit einem unsichtbaren Widerstand, der von allen Seiten auf uns drückt. Und verdammt, wir halten unseren Atem zu lange unter Wasser an, wollen verzweifelt an der Oberfläche, uns freistrampeln, nach Luft schnappen, unsere Lungen platzen fast, wir müssen all das, was sich aufgestaut hat, schnell loswerden, um einen tiefen Schluck Leben einzuatmen. Denn ein Leben ohne, ein Leben lediglich mit der Erinnerung an- nun, das ist erstickend.

Weihnachtslieder dröhnen aus der Stereoanlage. Lachende Kinder, quirlend rennen sie um einen hell erleuchteten, geschmackvoll geschmückten echten Baum herum, jagen sich und versuchen sich gegenseitig das Lametta aus den kleinen feuchten Händen zu reißen. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir Weihnachten wahren können. Unsere nähernde, grinsenden Gesichter spiegeln sich in riesige goldenen und silbernen Weihnachtskugeln; dabei bleiben wir in deren Reichweite um ein Weihnachtsunglück zu verhindern. Dieser Tag ist schon zerbrechlich genug; ein Weihnachtsbaum, der unschuldig umstürtzt, wäre eine zu große Erinnerung. Und der Schmerz durchfährt uns alle gleichzeitig, weil wir auf einmal wieder dort sind, im selben Moment schweifen. Wir waten durch Treibsand, der uns zu verschlingen droht.

Und so ist es wegen der Kinder, dass wir dieses Ding namens Weihnachten beibehalten. Denn deine Abwesenheit hat die Feiertage mehr beeinträchtigt, gar durcheinandergebracht, als wir zugeben möchten. Oh, wir halten uns an unser feierliches Versprechen, die tapferste Haltung einzunehmen, die die Umstände zulassen. Unsere Gäste sind genauso abgeschirmt wie die Kinder. Aber wir können die Erwachsenen nicht täuschen. Sie wissen es. Einige von ihnen kannten dich auch. Sie irren durch ihren eigenen stockfinsteren Tunnel, tasten im Dunkeln und fragen sich, ob sie jemals sicher herausfinden werden.

Als wir beginnen, die Geschenke zu verteilen, die in weihnachtlichem Geschenkpapier verpackt sind, tiefroten Samtschleifen und Geschenkanhängern (natürlich vom Santa Claus), einige davon mit kleinen Glöckchen, die zur Freude der Kinder daran baumeln, quietscht Ellie und wir drehen uns um. Ganze vier Jahre alt, fühlt sich aber schon groß. Ihre Hände sind wie Seesterne ausgebreitet, fest auf dem vom Boden bis zur Decke reichenden Wohnzimmerfenster abgestützt, die Arme hochgestreckt wie beim Hampelmann wenn er aufspringt, währenddem wir herbeieilen, um zu sehen, was ihr so gefällt. Jede Faser unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf den eingezäunten Teich im Hinterhof.
„Pop, Pop!“, ruft sie. Ein wissender Blick huscht über unsere Gesichter, und uns steigen Tränen in den Augen. Ja Ellie, flüstern wir leise „Pop, Pop“ (ihr Spitzname für Opa), es scheint, hat es doch noch zu Weihnachten geschafft. Was für ein kluges Mädchen! Komisch, was kleine Kinder sich alles merken, wo man es ihnen garnicht zutraut. Es erinnert mich an Tante Isabellas Geschichte, die sie Ellie erzählt hatte, um ihr zu helfen zu verstehen, warum ihr geliebter Opa nicht mehr da ist. Wie der Geist derer, die in den Himmel gegangen sind, manchmal in Gestalt eines Vogels auf die Erde zurückkehren, um ihre Lieben zu trösten, ihnen nahe zu sein und ihnen zu versichern: Ich bin hier. Ich bin bei dir. Immer.

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© Donna H.
(Text/Bild)
25. Dezember 2025
 
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Liebe Donna,
Deine Geschichte, die Du so einfühlsam erzählt hast, geht mir zu Herzen. Ich habe in diesem Jahr auch einen großen Verlust erlitten und kann mich in Deiner Erzählung wiederfinden. Du hast sehr gut beschrieben wie das Fest äußerlich gestaltet wird, während im Innern versucht wird, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten, bis es das kleine Mädchen auf den Punkt bringt und beides vereint.
Ich wünsche Dir für das neue Jahr viel Kraft,
liebe Grüße, Lizzy
 
Liebe Donna,
Deine Geschichte, die Du so einfühlsam erzählt hast, geht mir zu Herzen. Ich habe in diesem Jahr auch einen großen Verlust erlitten und kann mich in Deiner Erzählung wiederfinden. Du hast sehr gut beschrieben wie das Fest äußerlich gestaltet wird, während im Innern versucht wird, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten, bis es das kleine Mädchen auf den Punkt bringt und beides vereint.
Ich wünsche Dir für das neue Jahr viel Kraft,
liebe Grüße, Lizzy
Liebe @Lizzy ,
Der Verlust und die daraus resultierende Trauer kollidieren mit allem, insbesondere mit den Feiertagen. Zu sagen, dass es schwer ist, wäre eine Untertreibung. Die Trauer wird verstärkt, Erinnerungen verfolgen uns während der Feiertage und spielen sich wie ein grausamer Film in unserem Kopf ab, obwohl wenn die Zeit eine gewisse Distanz schaffen kann, in der wir wieder zu Atem kommen und uns etwas von dem Schock erholen können, so dass diese Erinnerungen dann sogar wertvoll, start schmerzlich werden - aber bis dahin ist die Art und Weise, wie wir Trauer erleben, wie wir damit umgehen oder sogar versuchen, voranzukommen, wenn sich nichts richtig anfühlt, eine große Herausforderung. Eine erzwungene Reise ohne unsere Mitreisenden ist so falsch, dass wir sie zurück in das Kapitel schreiben wollen, in das sie gehören.

Die Traurigkeit vertieft sich, die Einsamkeit verschärft sich, man ist verletzt, durchlebt zerschlagene Erwartungen und ist zerbrechlich wie Glas. Doch es gibt kleine Freuden auf diesem schwierigen Weg, die eine Rettungsleine sind, ein Aufmunterung, ein Grund einen Fuß vor den anderen zu setzen. Denke daran, zu atmen und trotz der Tränen ein Lächeln zu finden. Wir sind gesegnet, so tief geliebt zu haben. Behalte diese Fähigkeit und gehe weiter auf das Licht zu, gewinne neue Kraft, achte auf dich und deine emotionale Gesundheit.

Du bist stärker, als es sich anfühlt, auch wenn du an einem Scheideweg stehst, an dem Wärme und Schmerz aufeinandertreffen, Erinnerungen und Gegenwart ineinanderfließen.
Liebe Grüße,
Donna
 
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