Anderer Blickwinkel
Als Jugendlicher besuchte ich das Mittelalterfestival auf dem Burgplatz dieser Stadt. Eine Musikgruppe spielte zum Ambiente passende Weisen, es war wie eine Zeitreise. Ich fühlte mich tief ergriffen, erfüllt und glücklich, bis ein älterer Mann mit militärisch kurzgeschorenen Haaren neben mir mich voller Hass und Wut ansah, das riss mich jäh aus meiner Harmonie...
Jahre später, auf dem Bizarre Festival in Köln, befand ich mich selbst in einer zutiefst unglücklichen, depressiven Stimmung, war ich voller Frust, so dass ich einem der feiernden Menschen, der mich leicht anrempelte, genau den gleichen Hassblick sandte. Auch er schien sichtlich irritiert, das gab mir eine gewisse dunkle, finstere Genugtuung. Ich konnte es schlicht und einfach nicht ertragen, jemanden so glücklich zusehen, weil ich selbst in meinem negativen Film gefangen war. Auf einmal verstand ich, da ich nun beide Blickwinkel durchlebt hatte.
Im „Club der toten Dichter“ bittet der Lehrer Keating seine Schüler, alles junge Menschen in der Selbstfindungsphase, auf einen Tisch zu steigen. Er möchte ihnen vermitteln, dass es wichtig ist, sich die Welt von Zeit zu Zeit aus einer anderen Perspektive anzusehen.
Nur gut, dass ich mittlerweile auf der positiven Seite angekommen bin, es können solche Erlebnisse dem Betrachter die Augen öffnen und ihn dafür offen machen, andere Menschen besser zu verstehen. Der Blick des alten Mannes galt gar nicht mir, er war nur Ausdruck seiner eigenen Frustration. So wie alle Urteile von uns oder über uns selbst niemals die Wahrheit berühren, solange wir nicht erkennen, dass alle Menschen Wunder sind und wir alle als natürliche Existenzen völlig gleich sind.