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  • Vogelflug
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  • 1. Juli 2025
  • An diesem Tag wird mir bewusst, dass schon wieder ein Jahr halb vergangen ist bzw. die zweite Hälfte des Jahres beginnt. Ich denke also über Zeit nach. Wie neulich, als ich mich an all die Umzugskartons erinnert habe, die noch ungeöffnet in meinem Kramzimmer gestapelt sind oder unter dem Schutzdach im Hof lagern. Teilweise sind noch normale, durchaus jederzeit in das gegenwärtige Leben zu übernehmende Dinge darin – wie Bücher, Schallplatten, Bilder, die an Wänden hängen sollten, aber auch allerlei Krimskram von mehr oder weniger melancholischem Wert, Erinnerungszeug. So was. Und Kisten voller Papierkram unterschiedlichster Art. Beim Nachdenken darüber wurde mir plötzlich bewusst, dass mit dem Umzug in unser ehemaliges Bauernhaus, denn wir sind keine Bauern, darum ist es nun kein Bauernhaus mehr, ja, dass sich mit dem Umzug hierher mein vorheriges Leben vom Leben nach diesem Umzug getrennt hat. Ein Riss hat die Zeitläufe getrennt. Nur die abrufbaren Erinnerungen im Kopf sind mir geblieben. Der ganze haptisch greifbare Kram ist zwar noch vorhanden, aber er gehört nicht mehr zu meinem Leben. Er umgibt mich nicht. Ich kann nicht in ein Foto von 1983, in einen Gedichtversuch von 1988, in einen Brief von 1984, in einen Kassenzettel von 1990, eine Lohnabrechnung von 1983 versinken, oder mich mit einer schon halb von Milben zerfressenen Eulenfeder, die ich 1982 im Tiergarten fand, an der Nase kitzeln.
  • Es schmerzt immer, wenn ich daran denke. Sicher bin ich kein klassischer Messie, aber viel fehlt nicht. Weißt du noch, die Stapel von Tageszeitungen, die ich ewig nicht weggeben konnte? Ja, ich weiß noch.
  • Niemand, der nicht ähnlich mit Dingen lebt wie ich, kann verstehen, warum ich so viel Kram aufhebe. Immer schon aufgehoben habe. Allein die vielen Bücher und Schallplatten würden die allermeisten Menschen einfach wegwerfen. Nicht mehr zeitgemäß, nicht von Wert. Aber ich, ich lese in diesen Dingen mein Leben, von dem nun leider schon die Hälfte fehlt. Und ich habe Spaß, mich daran zu erinnern. Ich gehe in Erinnerungen spazieren. Machen wohl andere nicht so sehr. Egal, nicht mein Thema. Ich muss mich entscheiden, ob ich noch mal eine nutzbare Ordnung in meine verschütteten Schätze bringe, oder ob ich darauf vertraue, dass ich den Tag nicht erleben werde, wenn zwei große Container an den Straßenrand gestellt werden, in die die Spuren, die Artefakte meines Daseins auf Erden, geworfen werden, um dem materiellen Recycling zugeführt zu werden. (Vier mal „werden“ in einem Satz! Fast ein Konjunktiv eigentlich, eine Ahnung, was passieren könnte, nein, das, was mit hoher Wahrscheinlichkeit passieren wird.)
  • Voriges Jahr im Oktober bin ich diesem Ende schon mal wieder sehr nahe gekommen. Scheinbar grundlos umfallen und nicht allein wieder aufstehen können, das kann schon den letzten Glockenschlag bedeuten. Nun sitze ich aber wieder hier, tippe meine Gedanken in einen Laptop, versuche meine Gegenwart zu ordnen und irgendwie eine nicht planbare Zukunft in Worte zu fassen, in der Hoffnung, dass ich noch eine Zukunft habe. Ich bin sechzig. Und trotz des Hirnschlags fühle ich mich „mitten im Leben“. Will ich hundertzwanzig werden? Nein, beileibe nicht. Da müssten schon einige Wunder in der Medizin-Forschung passieren, dass ich die Strecke noch mal gehe. Obwohl ich neugierig genug bin, das Alter nicht grundsätzlich abzulehnen. Sicher, alt und gebrechlich, jahrelang siechend, nein das will ich auch nicht. Aber alt werden, das Gewimmle um mich herum beobachten, manchmal meinen Senf dazugeben, das würd ich schon gern.
  • Also. Bestandsaufnahme? Ein Zwischenfazit?
  • Ich habe die meiste Zeit meines Lebens bis hierher gern gelebt. Bedeutende Verdienste habe ich mir dabei nicht angeeignet. Während der Schulzeit kein Ziel entwickelt. Das Schönste, das ich mir vorstellen konnte, war für mich unmöglich zu erreichen, dachte ich. Das war mit zwölf, dreizehn die Vorstellung, Journalist zu werden. Die Welt beobachten, darüber schreiben, vielleicht auch sprechen. Aber in der DDR bedeutete das, sein Leben nach den Regeln des Parteistaats auszurichten oder innerlich im Untergrund zu leben. Selbstverleugnung. Maske tragen.
  • Meine schulischen Lernfähigkeiten und mein Wille zu „büffeln“ waren zu schwach ausgebildet, um im Gerangel um einen Platz auf der „Penne“ erfolgreich zu sein. In unserer Stadt wurden aus jeder Klassenstufe maximal ein bis zwei Schüler*innen für die Erweiterte Oberschule, Voraussetzung für ein Hochschulstudium, zugelassen. In der Regel waren das die Leistungsstärksten eines jeden Jahrgangs, natürlich mit festem Bekenntnis zu Staat und Sozialismus. Was allein an diesem Brennpunkt persönlicher Biografien gelogen und getrickst wurde, damit man dazugehörte, das war schlicht unfassbar und widerte mich schon im zarten Alter von dreizehn Jahren unendlich an. Also nix mit Journalismus. Dass man auch über Umwege zu seinem Traumberuf kommen könne, ahnte ich damals absolut nicht. Leider hatte ich in meinem persönlichen Umfeld niemanden, der oder die mir das vorleben konnte. Das zu entdecken, brauchte ich noch ein paar Jahre.
  • Etwa vier Jahre später begann ich das nicht ganz ungefährliche Spiel, mich als frei denkender und halbwegs frei handelnder junger Mensch mit den staatlichen Institutionen, mit sozialistischer Moral und Realität kritisch auseinanderzusetzen. Das dauert bis heute an und wird kein Ende haben, bis das Ende erreicht ist.






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Lieber Vogelflug
Ich hoffe Du hast tief in dem alten Bauernhaus eingeatmet ,bevor Du es umgebaut hast.
Generationen, Seelen, Leben darin.
Ich habe nur Erfahrungen mit unserer Partner Kirchengemeinde in Altenburg. Wie in den staatlichen Einrichtungen versucht wurde das Christentum zu verdrängen. Nicht die feine Art wie das gemacht wurde.
Dir wünsche ich trotz all dem gute Gesundheit.
Ich glaube wir dürfen auch mal gnädig zu uns selbst sein.
Liebe Grüße
 
Guten Morgen @Rudolf Fritz-Roessle.
Die Stimmen der Alten, der Vorbewohner, Vornutzer, der vor uns Dagewesenen. Ja, manchmal hört man sie lauter als an anderen Tagen. Ich denke, dass hier, in unserem Wohnhaus, die Geister recht zufrieden sind. Wir haben zwar vieles stark verändert, aber mit dem Effekt, dass Gäste des Hauses oft kaum glauben können, was alt ist und was neu. Das liegt an den historischen Baustoffen und Bauteilen, die wir als Recycling-Material benutzt haben. So wurden die schlimm hässlichen Kunststofffenster, welche nach 1990 als "Modernisierung" eingebaut worden waren, schnell gegen Holzfenster nach alten Maßen ausgetauscht, was dem Haus sehr gut getan hat. Albernheit am Rande: Diese Kunststofffenster erwähnte wohl der Makler, der den Kauf mit meiner Familie abwickelte, als das "Wertvollste vom ganzen Haus". Ein Schenkelklopfer, wenn es nicht so traurig wäre.
Ja, vielen alten Fenstern und Türen wurde von uns ein neues Leben gegeben, was dem alten Haus von etwa 1850 sicher besser zu Gesicht steht, als hätten wir es rundum mit modernen Teilen ausgestattet. Alte Ziegel und Klinker, Lehm, Holz. Das unvermeidbar Neue möglichst wenigstens mit halbwegs historischem Antlitz. Keine Hochglanzdachziegel, sondern roter Ton. Nachhaltigkeit trotz vieler Veränderungen.
Leider bin ich wohl der einzige in der Familie, der die uns unbekannten Vorbesitzer ernst nimmt. Als die Familie den Holunderbusch aus dem Garten entfernt hat, weil er alljährlich ein Quell für Blattläuse war, machte mich das richtig böse. Heißt es doch, dass die Geister früherer Bewohner gern im Holunder sitzen ... Man mag das für überkommene esoterische Spinnerei halten, Slawen- und Germanenquatsch aus längst vergangenen Zeiten, ja, aber für mich ist das Einbeziehen solcher Denkweisen in mein Dasein schlicht gelebte Poesie - eine Brücke in andere Zeiten und eine Ahnung davon, wie man über Generationen hinweg eine Harmonie zwischen Mensch, Umwelt und Zeitgeschichte pflegen kann.
 
  • Vogelflug
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