Moin
@Sidgrani,
ich hatte mir deinen Text heute morgen direkt gespeichert, um ihn zu kommentieren.
Nun hat er verdienterweise gleich schon 2 Kommentare erhalten, aber davon lasse ich mich jetzt nicht beirren (ich kommentiere sonst auch gern Texte ohne Kommentare, damit sie wieder nach oben rücken^^).
Mit der Form bin ich nicht so vertraut, ist das eine Terzine? Ich meine da war was mit einem Kettenreim, der sich ja auch hier bei dir im Mittelvers komplett durchzieht. SO streng ist es standardmäßig glaube ich nicht, aber da freue ich mich auf eine kurze Formkunde von dir^^
Der 5-hebige Jambus müsste dabei konsequent sein. Den hast du auch lupenrein durchgezogen, wunderbar.
Es gibt eigentlich nur eine einzige Stelle, die mir aufgefallen ist, weil sie nicht ganz clean gelöst ist:
Wenn früh am Morgen Eiskristalle blinken,
aus hohen Wolken Reiserufe schallen,
dann geht der Herbst ganz still und ohne Groll,
"aus hohen Wolken Reiserufe schallen" ist als Erweiterung bzw. Ergänzung des "wenn" gemeint, dem konnte ich irgendwann folgen.
Also:
"Wenn früh am Morgen Eiskristalle blinken
UND WENN aus hohen Wolken Reiserufe schallen, "
Im ersten Impuls liest sich das aber als kausaler Wenn-Dann-Zusammenhang und dann liest sich der Vers mit einer ganz unschönen Inversion:
"Wenn früh am Morgen Eiskristalle blinken
DANN aus hohen Wolken Reiserufe schallen,"
Ich würde das an dieser Stelle nicht provozieren wollen, man bleibt da leider hängen beim Lesen.
Wie sehr hängst du am "hohen"? Ansonsten ließe sich der Satz auch narrensicher umformulieren zu:
"Wenn früh am Morgen Eiskristalle blinken
und aus den Wolken Reiserufe schallen"
Ansonsten kann und will ich hier eigentlich nur noch aufzählen, was mir gut gefällt:
Der Sommer gähnt und schlüpft aus seinen Schuhen,
im Blätterwald rauscht ein „Adieu“ in Moll.
Es kommt die Zeit, sich gründlich auszuruhen.
Der Herbst zieht ein und prunkt mit seinen Gaben,
die großen Taschen sind mit Farben voll
und jedes Blatt soll etwas davon haben.
Mir gefällt die Personifikation von Sommer und Herbst hier sehr gut. Wie herrlich, dass der Herbst hier nun mit Prunk und Gaben beschrieben wird, sicher Attribute, die gern dem Sommer zugeschrieben werden. Doch hier ist der Herbst der Star - zurecht, wenn wir einmal schauen, wie sehr er allein die User dieses Forums zu Herbstgedichten inspiriert.
Es passt nun hier nicht mit der Form zusammen, aber idealerweise würden sich Metrum und Reim zwischen Sommer und Herbst unterscheiden um die unterschiedlichen Charaktere auch formal hervorzuheben - aber das nur eine winzige Mäkelei, wo sonst nichts zu Mäkeln ist 😉
Ein Hauch von Wehmut hängt in allen Zweigen,
in allen Bäumen raunt es ahnungsvoll,
der Herbst lässt grüßen und die Nebel steigen.
Die Blätter, die im Schwarm zu Boden sinken,
bedecken wie ein Teppich jeden Zoll.
Wenn früh am Morgen Eiskristalle blinken,
Als erstes ist mir hier der Wechsel von "hängen" zu "steigen" zu "sinken" aufgefallen, das hat was sehr lebendiges, wie ein Atmen der Natur bzw. des Herbstes. Das Raunen der Bäume ist auch toll, sie sind sich noch nicht so einig, ob der Herbst nun wirklich der beste Besucher für sie ist, müssen sie doch bald alle Blätter fallen lassen.
aus hohen Wolken Reiserufe schallen,
dann geht der Herbst ganz still und ohne Groll,
so wie zuvor die scheuen Nachtigallen.
Verklungen ist das Abschiedslied in Moll.
Starker Abschluss, der den Anfang noch einmal zurückholt, nun wissen wir auch, dass es die Nachtigall war, die dem Sommer Lebewohl gesagt hat. Hier will ich nur eine kleine symbolische Ungenauigkeit anführen, denn eigentlich ist die Nachtigall der Bote des Frühlings, nicht des Herbstes. Ansonsten fand/findet sie oft Verwendung als Symbol für Sehnsucht oder auch Erotik, wobei ich das weniger in deinen Text hineininterpretieren würde^^
Das soll nun aber den schönen Abschluss nicht schmälern, gern gelesen!
LG Dali Lama