Gerade war ich in meinen Gedanken der S-Bahn entkommen, da quetschte sich mit dem Schließen der Tür ein Jugendlicher an mir vorbei, so dass ich nicht anders konnte, als kurz zu ihm herüber zu blicken. Der Zug setzte sich in Bewegung und der junge Mann schaute mich aggressiv an und sagte mit einem Akzent, den ich grob dem Balkan zuordnete: "Du hast mich angekuckt." "Woher weißt du das nur?", fragte ich süffisant, doch er war nicht zu Scherzen aufgelegt: "Ich hau dir gleich in die Fresse." Da erkannte ich, dass es klüger sei, zu schweigen und schaute unter mich. "Ignorierst du mich, du Schwuchtel?", setzte er nach. Es gab wohl keine Möglichkeit, die Konfrontation zu meiden. Der Kerl war auf Streit aus. "Nein", beschwichtigte ich ihn und bewies es, indem ich es sagte. Das gab ihm wohl den Anlass, nach dem er gesucht hatte: "Ich geb dir - mich verarschen!" brüllte er und schlug zugleich in Richtung meines Gesichts. Doch ich konnte den Schlag abwehren und hielt seinen Arm fest. Sofort ergriff ich auch seinen anderen Arm, sodass eine annähernde Pattsituation entstand und wir uns ein wenig hin und her drückten.
Plötzlich erhob sich ein stark gebauter Mann mit Glatze und schwarzer Jacke von seinem Sitz und kam auf uns zu. Er drückte meinen Widersacher mit einem kräftigen Prankenhieb zurück und fragte mit bemerkenswert klarer und von Selbstvertrauen zeugender Stimme: "Suchste Ärger, Junge? Kannste haben." Allein wohl die schiere Tatsache, dass er keine Angst zu haben schien und seine kräftige Statur bewogen den Angreifer zum Rückzug, indem er sich durch die Menschenmenge hindurch zwängte und sich vergewissernd zu uns herüber schaute. Erst jetzt erkannte ich Details in der Kleidung meines Helfers: er trug Springerstiefel, enge, hellblaue Jeans und auf seiner Bomber-Jacke war eine Wolfsangel aufgestickt. Offensichtlich war mein Retter ein Neo-Nazi. Für einen Moment dachte ich: "Ausgerechnet ein Nazi! Hätte mir nicht jemand anders helfen können?" Aber dann erkannte ich den unangebrachten Hochmut in meiner Situation, konnte ich doch wirklich froh sein, dass jemand den Mut aufbrachte, sich einzumischen. Und ist ein rechtsextremer Helfer denn ein "schlechterer" Helfer? Ich bedankte mich also mit empfundener Herzlichkeit und fügte hinzu, dass das nicht selbstverständlich gewesen sei.
Während wir beide an der nächsten Station ausstiegen, erklärte er mir: "Wenn man noch an Volksgemeinschaft glaubt, dann ist das selbstverständlich." Dieser Satz löste nun ein wenig Unbehagen in mir aus, aber ich wollte auch dem Mann, der sich so mutig für mich eingesetzt hatte nicht vor den Kopf stoßen. Darum übersetzte ich "Volksgemeinschaft" wohlwollend mit "Zivilcourage" und stimmte schüchtern zu: "Ja, man kann froh sein, wenn man heutzutage noch so viel Sinn für Volksgemeinschaft finden kann." Inzwischen wurde mir bewusst, dass wir uns einen Teil des Heimweges teilen mussten; da versicherte mir der freundliche Nazi: "Wenn ein Kanacke einen Deutschen angreift, dann greift er mich an und dann hau ich zurück." Ich verkniff mir die Frage danach, was passiere, wenn ein Deutscher einen "Kanacken" angreife, aber ein Teil von mir wollte unbedingt widersprechen, wenn auch nur leise und höflich. "Ich glaube nicht, dass das jetzt etwas damit zu tun hatte, dass der Typ ein Ausländer war", relativierte ich vorsichtig. Daraufhin stellte mein Begleiter fest: "Du bist doch ein Deutscher, richtig?" Ich nickte. "Der Wichtigtuer", ergänzte er "ist ein Kanacke. Der Wichtigtuer hat dich angegriffen. Also war es ein Kanacke, der einen Deutschen angegriffen hat. Mehr muss ich gar nicht wissen."
Er sprach noch eine Weile von "Überfremdung", "Fremdherrschaft der Alliierten", "linker Zensur" und von "anderen Verhältnissen", die schon bald herrschen werden. Das ganze Gespräch war mir sehr unangenehm und ich war froh, endlich darauf hinweisen zu können, dass ich in die nächste Straße einbiegen müsse. Dort wünschte ich ihm noch einen schönen Abend und er verabschiedete sich mit gestrecktem Arm und einem entschlossenen "Sieg Heil!" Ich hob meine Hand zum uneindeutigen Gruß, so dass ich ihm weiß machen könnte, ich hätte den Gruß erwidert und zugleich mir selbst weiß machen konnte, ich hätte ihn nicht erwidert und während ich die paar Schritte zu meiner Wohnung ging, beschäftigte mich die Frage: "War ich in diesem Moment ein Nazi?"
Plötzlich erhob sich ein stark gebauter Mann mit Glatze und schwarzer Jacke von seinem Sitz und kam auf uns zu. Er drückte meinen Widersacher mit einem kräftigen Prankenhieb zurück und fragte mit bemerkenswert klarer und von Selbstvertrauen zeugender Stimme: "Suchste Ärger, Junge? Kannste haben." Allein wohl die schiere Tatsache, dass er keine Angst zu haben schien und seine kräftige Statur bewogen den Angreifer zum Rückzug, indem er sich durch die Menschenmenge hindurch zwängte und sich vergewissernd zu uns herüber schaute. Erst jetzt erkannte ich Details in der Kleidung meines Helfers: er trug Springerstiefel, enge, hellblaue Jeans und auf seiner Bomber-Jacke war eine Wolfsangel aufgestickt. Offensichtlich war mein Retter ein Neo-Nazi. Für einen Moment dachte ich: "Ausgerechnet ein Nazi! Hätte mir nicht jemand anders helfen können?" Aber dann erkannte ich den unangebrachten Hochmut in meiner Situation, konnte ich doch wirklich froh sein, dass jemand den Mut aufbrachte, sich einzumischen. Und ist ein rechtsextremer Helfer denn ein "schlechterer" Helfer? Ich bedankte mich also mit empfundener Herzlichkeit und fügte hinzu, dass das nicht selbstverständlich gewesen sei.
Während wir beide an der nächsten Station ausstiegen, erklärte er mir: "Wenn man noch an Volksgemeinschaft glaubt, dann ist das selbstverständlich." Dieser Satz löste nun ein wenig Unbehagen in mir aus, aber ich wollte auch dem Mann, der sich so mutig für mich eingesetzt hatte nicht vor den Kopf stoßen. Darum übersetzte ich "Volksgemeinschaft" wohlwollend mit "Zivilcourage" und stimmte schüchtern zu: "Ja, man kann froh sein, wenn man heutzutage noch so viel Sinn für Volksgemeinschaft finden kann." Inzwischen wurde mir bewusst, dass wir uns einen Teil des Heimweges teilen mussten; da versicherte mir der freundliche Nazi: "Wenn ein Kanacke einen Deutschen angreift, dann greift er mich an und dann hau ich zurück." Ich verkniff mir die Frage danach, was passiere, wenn ein Deutscher einen "Kanacken" angreife, aber ein Teil von mir wollte unbedingt widersprechen, wenn auch nur leise und höflich. "Ich glaube nicht, dass das jetzt etwas damit zu tun hatte, dass der Typ ein Ausländer war", relativierte ich vorsichtig. Daraufhin stellte mein Begleiter fest: "Du bist doch ein Deutscher, richtig?" Ich nickte. "Der Wichtigtuer", ergänzte er "ist ein Kanacke. Der Wichtigtuer hat dich angegriffen. Also war es ein Kanacke, der einen Deutschen angegriffen hat. Mehr muss ich gar nicht wissen."
Er sprach noch eine Weile von "Überfremdung", "Fremdherrschaft der Alliierten", "linker Zensur" und von "anderen Verhältnissen", die schon bald herrschen werden. Das ganze Gespräch war mir sehr unangenehm und ich war froh, endlich darauf hinweisen zu können, dass ich in die nächste Straße einbiegen müsse. Dort wünschte ich ihm noch einen schönen Abend und er verabschiedete sich mit gestrecktem Arm und einem entschlossenen "Sieg Heil!" Ich hob meine Hand zum uneindeutigen Gruß, so dass ich ihm weiß machen könnte, ich hätte den Gruß erwidert und zugleich mir selbst weiß machen konnte, ich hätte ihn nicht erwidert und während ich die paar Schritte zu meiner Wohnung ging, beschäftigte mich die Frage: "War ich in diesem Moment ein Nazi?"