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Feedback jeder Art Die Reise von Josef Maren Teil 4

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Die Reise von Josef Maren Teil 4

Tagebucheintrag von Josef Maren, Flakschütze auf der Erzengel Flammensang 12.01.961.JdL

Die Sonne steigt über den Horizont, aber ihr Licht ist seltsam stumpf. Rauch hängt noch in den Lüften, ein grauschwarzer Vorhang, der das erste Glühen des Tages verschluckt. Ich sitze in meiner kleinen Kabine, die Hände zittern noch immer, und in meinem Kopf tobt die Erinnerung an die Nacht. Ich habe meinen ersten Kampfeinsatz erlebt. Ich habe getan, wofür ich seit meiner Jugend gebrannt habe. Uldurak liegt hinter uns – oder das, was einmal Uldurak gewesen ist.

Gestern Abend, kurz vor Sonnenuntergang, erschien die Stadt zum ersten Mal in der Ferne. Zunächst war sie nur ein Schimmer am Horizont, doch je näher wir kamen, desto deutlicher hob sich ihr Antlitz vom Land ab. Uldurak war groß und prächtig, das muss ich gestehen. Hohe, schlanke Türme ragten gen Himmel, weiß schimmerten die Mauern im roten Schein der untergehenden Sonne. Die Zwiebeltürme, viele von ihren Dächern mit Gold gedeckt, funkelten wie Feuer im Abendlicht. Mit jedem Schlag der Maschinen schien die Stadt größer zu werden, bis sie wie ein Traum aus Sandstein und Gold vor mir lag.

Dann fielen die Schatten der Nacht. Nach und nach begannen die Straßenlaternen zu glimmen, Fenster füllten sich mit warmem Schein. Ich konnte mir vorstellen, wie die Menschen dort unten ihrem Alltag nachgingen – wie sie lachten, aßen, ihre Kinder zu Bett brachten. Vielleicht ahnten einige, dass der Krieg zu ihnen gekommen war, doch die meisten schienen nichts zu wissen. Ich dachte: Wenn sie die Glocken hören werden, wird es zu spät sein.

Als die Dunkelheit die Stadt verschluckte, wurde unsere Flotte in Gefechtsbereitschaft versetzt. Neun weitere Seraphim-Schiffe um uns herum nahmen Position ein. Über Lautsprecher hallte der Befehl: Gefechtsstationen! Jeder eilte an seinen Platz. Ich wurde an meine Flak bestellt, die knapp über den Rumpf hinausragt. Eigentlich wusste jeder an Bord, dass Uldurak keine Luftflotte hat. Aber die Vorschrift verlangte, dass wir Wache hielten – und so stand ich da, die Hände am Griff meiner Waffe, die Augen auf den Boden unter mir gerichtet.

Von dort oben hatte ich freien Blick auf das Schauspiel, das sich entfaltete. Vor der Stadt sammelten sich bereits unsere Infanteriedivisionen, ganze Regimenter, die sich für den Sturm am Morgen bereithielten. In der Finsternis sah ich die geordneten Linien der Truppen, die Fackeln und Lagerfeuer, das Blitzen von Stahl. Sie wirkten wie Ameisen, und doch wusste ich, dass jeder einzelne von ihnen ein Bruder im Willen des Propheten war. Ich suchte nach einem Gedanken an Liam, meinen lieben alten Freund aus dem Industrieviertel. Seine Einheit sollte die Tore bei Sonnenaufgang nach unserem Angriff als erste stürmen. Ich stellte mir vor, wie er dort unten stand, vielleicht mit ähnlicher Unruhe wie ich, während er auf den Morgen wartete.

Dann, inmitten der Stille, ertönten die Glocken der Schiffe. Kein Läuten wie in unseren Kirchen, sondern das harte, metallische Signal, das jeder von uns kannte: Bombenluken öffnen. Ich hörte das Rumpeln unter meinen Füßen, die schweren Mechanismen, die sich bewegten. 89 Feuerbomben lagen im Bauch unseres Schiffes bereit, jede einzelne größer als ein Pferd. Eine davon trug meinen Namen, den ich heimlich in ihr Metall geritzt hatte. Eine kindische Tat vielleicht – doch ich wollte, dass ein Teil von mir selbst in diesem Inferno hinabstürzte, dass ich nicht nur Zuschauer, sondern Teil der Vollstreckung war.

Die Bomben lösten sich, eine nach der anderen. Ich sah sie, schwarze Silhouetten gegen die Finsternis, wie Regentropfen aus Eisen. Sie fielen in die Tiefe, lautlos zuerst, bis die ersten Einschläge die Nacht zerbrachen.

Was dann kam, war wie ein zweiter Sonnenaufgang – aber keiner, der Leben schenkte. Plötzlich loderten Flammen auf, rissen Dächer in Stücke, schluckten Straßen und türmten sich zu Feuersäulen, die höher stiegen als die Mauern der Stadt. Türme, die im Abend noch stolz geglänzt hatten, bebten, zersprangen und stürzten in die Tiefe. Goldene Dächer verglühten in gleißenden Funken, Tempel barsten und wurden zu Ruinen.

Die Straßen, die zuvor von friedlichen Lichtern erhellt waren, wurden zu glühenden Adern des Infernos des Weltenbrands. Menschen liefen durcheinander, winzige Gestalten inmitten der Katastrophe. Einige rannten, als könnten ihre Beine schneller sein als das Feuer. Andere blieben reglos, vielleicht im Schock, vielleicht im Gebet. Manche verschwanden in den Flammen, ehe ich sie aus den Augen verlieren konnte. Das Schreien, das bis zu uns hinaufdrang, vermischte sich mit dem Donnern der Explosionen, bis es wie das Klagen eines einzigen riesigen, sterbenden Wesens klang.

Zehn Minuten. So lange dauerte es, nicht länger. In dieser kurzen Spanne wurde Uldurak vom Glanz der Flammen verschlungen. Als die letzten Bomben gefallen waren, war die Stadt nicht mehr zu erkennen. Statt einer stolzen Wüstenmetropole sah ich nur Rauch, Trümmer und Feuer, die sich ineinander verschlangen.

Die Flotte schloss die Luken und begann den Rückflug. Niemand sprach. Auf dem ganzen Schiff herrschte Stille, nur die Maschinen brummten. Jeder von uns hatte gesehen, was geschehen war, und jeder trug es nun schweigend mit sich. Ich dachte wieder an Liam. Ich hoffte, dass er überlebt, dass er den Sturm führt, und dass er, falls er fallen sollte, es mit Ehre tut. Vielleicht rennt er schon jetzt durch die Ruinen, durch die Asche, durch das, was von der Stadt übrig geblieben ist.

Jetzt, in diesem Morgengrauen, kann ich nicht schlafen. Ich fühle Stolz, ja, glühenden Stolz, Teil dieser Flotte gewesen zu sein, Teil des Willens des Propheten. Wir haben gezeigt, wie stark wir sind, und ich weiß: dieser Tag wird in die Geschichte eingehen. Aber neben dem Stolz liegt etwas anderes in mir. Etwas, das ich nicht benennen will. Vielleicht ist es Furcht, vielleicht ist es Bewunderung für die Größe des Weltenbrands. Vielleicht aber auch das Wissen, dass ich in dieser Nacht etwas gesehen habe und Teil von etwas wurde, das mich mein Leben lang begleiten wird.

Dies war mein erster Kampfeinsatz. Es war der Augenblick, auf den ich seit meiner Kindheit gewartet habe. Und nun, da er hinter mir liegt, weiß ich: es war erst der Anfang. Ich werde meinen Weg weiter gehen. Komme, was wolle.
 
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