Die Reise von Josef Maren Teil 6
Tagebucheintrag von Josef Maren, Unteroffizier auf der Erzengel Flammensang 24.08.966.JdL
Es sind fünf Jahre vergangen, seit Uldurak in Feuer und Rauch versank. Fünf Jahre, in denen meine Hände an den Kanonen ruhten, ohne je einen Schuss auf den Feind abzugeben. Fünf Jahre, in denen wir nichts anderes taten, als zu patrouillieren, Runde um Runde über die Kornfelder, die Küsten und die Grenzen unseres Reiches. Es war eine Zeit der Wachsamkeit, der Disziplin – aber auch eine Prüfung meiner Geduld. Ich erinnere mich an unzählige Nächte, in denen ich wach in meiner Hängematte lag, das Schaukeln des Schiffes spürte und mich fragte, ob ich jemals wieder den Donner der Bomben hören würde.
Und nun ist es so weit. Der Weltenbrand flammt erneut auf. Doch dieses mal richtet sich das Auge Glanzhalls nicht gegen eine Stadt, nicht gegen ein einzelne widerspenstige Provinz von Ketzern, sondern gegen ein stolzes Reich. Gegen Eisfall.
Eisfall ist nicht wie Uldurak. Keine Oasenstadt in der Wüste, kein Ort voller goldener Dächer und ahnungsloser Bürger, die im Schlaf vom Feuer überfallen werden konnten. Nein – Eisfall ist eine mächtige Nation. Ein gewaltiges, uraltes, stolzes Reich, das seit Jahrhunderten im Norden thront. Ich habe die Chroniken gelesen, die uns an der Akademie gelehrt wurden: ihre Könige führen ihre Abstammung auf Drachenblut zurück. Ihre Burgen sind nicht aus Stein gebaut, sondern aus Eis, das härter als Granit ist. Und ihre Armeen sind stark, diszipliniert und erbarmungslos.
Es heißt, Eisfall sei das einzige Reich, das Glanzhall über all die Jahre in Respekt und Furcht gehalten habe. Während wir Städte für Städte verbrannten, während wir die Welt in Licht tauchten, blieb Eisfall bestehen – wie ein Dorn im Fleisch, den man nicht herausreißen konnte. Lange hat unser Reich gezögert, diesen Feind herauszufordern. Nicht, weil es an Willen gefehlt hätte, sondern weil Eisfall nicht zu unterschätzen ist. Ihre Legionen sind zahlreich, ihre Schwerter scharf, ihre Schilde stark. Und mehr noch: sie beherrschen den Himmel.
Denn Eisfall besitzt Drachen. Wahre Bestien aus Schuppen und Feuer, gewaltig wie Häuser, deren Flügelschläge ganze Flotten durcheinanderwerfen können. Und nicht nur das – sie haben auch Schiffe, Luftschiffe, nicht minder modern und gewaltig wie die unseren. Jahrelang hat man gemunkelt, dass ihre Ingenieure uralte Geheimnisse aus den Tiefen der Erde bergen, dass sie Schiffe bauen, die schneller und tödlicher sind, als alles, was wir bisher gesehen haben.
Und nun, endlich, nach Jahrzehnten der Aufrüstung, nach endlosen Jahren des Sammelns und Stählens, ist Glanzhall bereit. Dreißig Schiffe fliegen gen Norden – dreißig Seraphim-Klasse und schwerere Cherubim-Kreuzer, Schulter an Schulter wie ein unaufhaltsamer Sturm. Wenn ich an die Fenster meiner Kanonendecks trete, sehe ich nichts als Schiff an Schiff, Reihen, die den Himmel verdunkeln. Wir sind ein Heer aus Eisen und Flammen, eine schwebende Festung, die keinen Zweifel daran lässt, was unser Ziel ist.
Und ich, Josef Maren, Sohn aus dem Industrieviertel, nun Unteroffizier, bin verantwortlich für die Kanonendecks der Erzengel Flammensang. Ich habe Männer unter mir – junge Rekruten, deren Augen noch voller Feuer sind, und alte Veteranen, deren Hände schwielig sind vom endlosen Bedienen der Geschütze. Ich sehe in ihre Gesichter und weiß: sie verlassen sich auf mich. Im kommenden Kampf werde ich ihnen Befehle geben, vielleicht sie sogar in den Tod schicken müssen. Diese Verantwortung wiegt schwer, aber sie erfüllt mich auch mit Stolz. Endlich habe ich den Rang, den Respekt und die Pflicht, die ich mir immer erträumt habe.
Doch diesmal spüre ich etwas, das ich in Uldurak nicht verspürte: Furcht. Nicht die freudige Ungeduld, die ich damals fühlte, als ich die Bomben im Bauch unseres Schiffes liegen sah. Nein – diesmal liegt es schwer in meinem Bauch, kalt wie ein Stein. Denn ich weiß, dass wir es nicht mit einer Stadt zu tun haben, die ahnungslos in den Schlaf geläutet wird. Eisfall wird zurückschlagen. Mit Drachen, mit Flotten, mit allem, was sie haben. Und wir, die Männer und Frauen an Bord, werden in den Sturm hineinfliegen, wissend, dass er uns vielleicht zerreißt.
Trotzdem freue ich mich. Ja, ich freue mich. Denn zum ersten Mal seit ich zur Marine ging, habe ich das Gefühl, dass wir einem Gegner begegnen, der uns ebenbürtig ist. Dass dieser Krieg nicht nur eine Prüfung des Glaubens, sondern auch eine Prüfung der Stärke sein wird. Und wenn wir siegen – wenn wir das stolze Reich Eisfall brechen und im Licht reinigen –, dann wird nichts mehr die Macht Glanzhalls infrage stellen können.
Letzte Nacht habe ich lange nicht schlafen können. Ich habe aus dem Fenster meiner Kabine in den Himmel gesehen, wo die Sterne hell brannten. Ich dachte an Liam, an meinen Freund aus Kindertagen, der in den Flammen von Uldurak starb. Ich habe zu ihm gesprochen, leise, so wie wir es als Kinder taten, wenn wir uns vor den Eltern versteckten. Ich habe ihn gebeten, dass er mich hört, dass er mich begleitet, wenn wir in die Schlacht gegen Eisfall fliegen. Vielleicht wacht er jetzt über mir, vielleicht wird er, wenn die Drachen auf uns herabstoßen, an meiner Seite stehen, unsichtbar, aber nah.
Drei Tage dauert der Flug nach Norden. Drei Tage, in denen wir uns sammeln, die Kanonen reinigen, die Bomben verstauen und unsere Gebete sprechen. Drei Tage, bis der Himmel in Feuer und Blut getränkt wird. Eisfall wird brennen – und wenn nötig, wir mit ihm.
Ich weiß nicht, was der Prophet für mich bestimmt hat. Aber ich weiß, dass ich bereit bin.
Tagebucheintrag von Josef Maren, Unteroffizier auf der Erzengel Flammensang 24.08.966.JdL
Es sind fünf Jahre vergangen, seit Uldurak in Feuer und Rauch versank. Fünf Jahre, in denen meine Hände an den Kanonen ruhten, ohne je einen Schuss auf den Feind abzugeben. Fünf Jahre, in denen wir nichts anderes taten, als zu patrouillieren, Runde um Runde über die Kornfelder, die Küsten und die Grenzen unseres Reiches. Es war eine Zeit der Wachsamkeit, der Disziplin – aber auch eine Prüfung meiner Geduld. Ich erinnere mich an unzählige Nächte, in denen ich wach in meiner Hängematte lag, das Schaukeln des Schiffes spürte und mich fragte, ob ich jemals wieder den Donner der Bomben hören würde.
Und nun ist es so weit. Der Weltenbrand flammt erneut auf. Doch dieses mal richtet sich das Auge Glanzhalls nicht gegen eine Stadt, nicht gegen ein einzelne widerspenstige Provinz von Ketzern, sondern gegen ein stolzes Reich. Gegen Eisfall.
Eisfall ist nicht wie Uldurak. Keine Oasenstadt in der Wüste, kein Ort voller goldener Dächer und ahnungsloser Bürger, die im Schlaf vom Feuer überfallen werden konnten. Nein – Eisfall ist eine mächtige Nation. Ein gewaltiges, uraltes, stolzes Reich, das seit Jahrhunderten im Norden thront. Ich habe die Chroniken gelesen, die uns an der Akademie gelehrt wurden: ihre Könige führen ihre Abstammung auf Drachenblut zurück. Ihre Burgen sind nicht aus Stein gebaut, sondern aus Eis, das härter als Granit ist. Und ihre Armeen sind stark, diszipliniert und erbarmungslos.
Es heißt, Eisfall sei das einzige Reich, das Glanzhall über all die Jahre in Respekt und Furcht gehalten habe. Während wir Städte für Städte verbrannten, während wir die Welt in Licht tauchten, blieb Eisfall bestehen – wie ein Dorn im Fleisch, den man nicht herausreißen konnte. Lange hat unser Reich gezögert, diesen Feind herauszufordern. Nicht, weil es an Willen gefehlt hätte, sondern weil Eisfall nicht zu unterschätzen ist. Ihre Legionen sind zahlreich, ihre Schwerter scharf, ihre Schilde stark. Und mehr noch: sie beherrschen den Himmel.
Denn Eisfall besitzt Drachen. Wahre Bestien aus Schuppen und Feuer, gewaltig wie Häuser, deren Flügelschläge ganze Flotten durcheinanderwerfen können. Und nicht nur das – sie haben auch Schiffe, Luftschiffe, nicht minder modern und gewaltig wie die unseren. Jahrelang hat man gemunkelt, dass ihre Ingenieure uralte Geheimnisse aus den Tiefen der Erde bergen, dass sie Schiffe bauen, die schneller und tödlicher sind, als alles, was wir bisher gesehen haben.
Und nun, endlich, nach Jahrzehnten der Aufrüstung, nach endlosen Jahren des Sammelns und Stählens, ist Glanzhall bereit. Dreißig Schiffe fliegen gen Norden – dreißig Seraphim-Klasse und schwerere Cherubim-Kreuzer, Schulter an Schulter wie ein unaufhaltsamer Sturm. Wenn ich an die Fenster meiner Kanonendecks trete, sehe ich nichts als Schiff an Schiff, Reihen, die den Himmel verdunkeln. Wir sind ein Heer aus Eisen und Flammen, eine schwebende Festung, die keinen Zweifel daran lässt, was unser Ziel ist.
Und ich, Josef Maren, Sohn aus dem Industrieviertel, nun Unteroffizier, bin verantwortlich für die Kanonendecks der Erzengel Flammensang. Ich habe Männer unter mir – junge Rekruten, deren Augen noch voller Feuer sind, und alte Veteranen, deren Hände schwielig sind vom endlosen Bedienen der Geschütze. Ich sehe in ihre Gesichter und weiß: sie verlassen sich auf mich. Im kommenden Kampf werde ich ihnen Befehle geben, vielleicht sie sogar in den Tod schicken müssen. Diese Verantwortung wiegt schwer, aber sie erfüllt mich auch mit Stolz. Endlich habe ich den Rang, den Respekt und die Pflicht, die ich mir immer erträumt habe.
Doch diesmal spüre ich etwas, das ich in Uldurak nicht verspürte: Furcht. Nicht die freudige Ungeduld, die ich damals fühlte, als ich die Bomben im Bauch unseres Schiffes liegen sah. Nein – diesmal liegt es schwer in meinem Bauch, kalt wie ein Stein. Denn ich weiß, dass wir es nicht mit einer Stadt zu tun haben, die ahnungslos in den Schlaf geläutet wird. Eisfall wird zurückschlagen. Mit Drachen, mit Flotten, mit allem, was sie haben. Und wir, die Männer und Frauen an Bord, werden in den Sturm hineinfliegen, wissend, dass er uns vielleicht zerreißt.
Trotzdem freue ich mich. Ja, ich freue mich. Denn zum ersten Mal seit ich zur Marine ging, habe ich das Gefühl, dass wir einem Gegner begegnen, der uns ebenbürtig ist. Dass dieser Krieg nicht nur eine Prüfung des Glaubens, sondern auch eine Prüfung der Stärke sein wird. Und wenn wir siegen – wenn wir das stolze Reich Eisfall brechen und im Licht reinigen –, dann wird nichts mehr die Macht Glanzhalls infrage stellen können.
Letzte Nacht habe ich lange nicht schlafen können. Ich habe aus dem Fenster meiner Kabine in den Himmel gesehen, wo die Sterne hell brannten. Ich dachte an Liam, an meinen Freund aus Kindertagen, der in den Flammen von Uldurak starb. Ich habe zu ihm gesprochen, leise, so wie wir es als Kinder taten, wenn wir uns vor den Eltern versteckten. Ich habe ihn gebeten, dass er mich hört, dass er mich begleitet, wenn wir in die Schlacht gegen Eisfall fliegen. Vielleicht wacht er jetzt über mir, vielleicht wird er, wenn die Drachen auf uns herabstoßen, an meiner Seite stehen, unsichtbar, aber nah.
Drei Tage dauert der Flug nach Norden. Drei Tage, in denen wir uns sammeln, die Kanonen reinigen, die Bomben verstauen und unsere Gebete sprechen. Drei Tage, bis der Himmel in Feuer und Blut getränkt wird. Eisfall wird brennen – und wenn nötig, wir mit ihm.
Ich weiß nicht, was der Prophet für mich bestimmt hat. Aber ich weiß, dass ich bereit bin.