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  • sofakatze
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Ich glaube, ich war draußen. Nicht im Sinne von draußen wie Wald oder Park oder „bitte lüften Sie“, sondern draußen wie: jenseits von Kontext. Ein Ort, an dem Bedeutung sich selbst vergisst. Ich erinnere mich an eine Treppe. Sie führte nur nach unten, aber jedes Mal, wenn ich einen Fuß darauf setzte, veränderten sich die Stufen, wurden zu Zungen. Manche schleckten, andere bissen. Eine sagte: „Du kommst zu spät.“ Ich fragte wozu. Sie antwortete mit einem alten Lateinlehrer, der rückwärts „sine spe“ rezitierte und dabei eine Kerze ausblies, die wie ein Herzschlag flackerte, obwohl ich nie Latein hatte.

Dann war ich plötzlich in einer Schule. Nicht meiner. Nur... sehr viel falscher. Tische standen auf der Decke, Schüler saßen an den Wänden, die Tafel war mein Gesicht. Darauf mit Kreide: „Er fehlt.“ Darunter: „Nicht mehr.“
Ich suchte mein Handy. Fand nur eine Fernbedienung. Ich drückte auf „Mute“. Und alles wurde lauter. Jemand weinte. Ich glaube, ich. Oder mein Spiegelbild, das sich weigerte, mit mir zu blinzeln.

Eine Frau, vielleicht meine baldige Therapeutin, vielleicht Angela Merkel im Trauerschleier, kam auf mich zu und fragte: „Was ist 7 minus 18?“ Ich sagte: „Ich.“ Sie nickte. Dann explodierte ihr Kopf in lauter kleine rot-braune Erinnerungen, jede davon roch nach Sonntag. Oder Schuld.
Ich traf mich in der Cafeteria. Also: Ich sah mich. Einfach da sitzen. Marmelade auf Toast schmieren, obwohl es gar kein Messer gab. Ich sagte: „Du bist nicht real.“ Er sagte: „Dann wach doch auf.“ Ich sagte: „Kann ich nicht.“ Er sagte: „Ich weiß.“ Dann schob er mir einen Zettel zu. Darauf stand: „Du warst ein guter Versuch.“ Oder so.
Als ich wieder aufwachte, oder behauptete, es zu sein, waren meine Hände rot von irgendwas. Ich weiß nicht, ob Blut. Oder Textmarker.

Ich weiß nur: Meine Fingernägel hatten fremde Namen eingeritzt. Ich schloss die Augen. Und hörte die Decke atmen.
Sie sagte: „Du hast wieder versucht zu fliehen.“ Ich antwortete: „Ich wollte nur schlafen.“ Und sie lachte. Diese gottverfluchte Decke lachte, bis ich meine Tür abschloss vor den Schrecken der Nacht. Dann schrie sie.
 
Hallo Evermore,

ein Gespräch mit der Zimmerdecke oder ist es die Bettdecke, die übers Gesicht gezogen wurde, als Flucht vor der Realität, der hämmernden Stille in einem beengten Raum ohne Ablenkung durch die Hektik des Alltages? Es wird detailliert die Aufarbeitung des Unterbewussten in Traumfrequenzen beschrieben. Ein Umherirren in den Zeiten beginnt, immer begleitet von dem Verlangen, einfach nur zur Ruhe zu kommen, eine Art Erschöpfungszustand. Um das Geschehen besser verarbeiten zu können, betrachtet man es verzerrt, vollkommen willkürlich aneinandergereiht und fernab der Realität, wie es scheint. Einer Vergangenheit, die einen einholt.

Indem Du schreibst:

Als ich wieder aufwachte, oder behauptete, es zu sein, waren meine Hände rot von irgendwas. Ich weiß nicht, ob Blut. Oder Textmarker.
schaffst Du Abstand zu dem Gelesenen. Ich denke für einen Moment, gut es ist nur aufgeschriebene Phantasie.

Doch dann geht es weiter und die Decke, ich frage mich, wofür sie steht? Die Zimmerdecke, die Nacht oder das Erdrückende bzw. die Tatsache, dass man das Geträumte alles durchlebt und gefühlt hat. Vielleicht steht sie auch sinnbildlich für die Abgrenzung von der Außenwelt. Eine Trennung von Unterbewusstsein und dem bewussten Erleben. Letztlich ist man wie gefangen oder abgeschirmt. Bei dem Versuch sich abzuwenden, die Tür für die Träume zu schließen, schreit die Stille, wird laut und macht klar, ich bin und bleibe deine Erinnerung und deine Realität.
Die Psyche kann einen fertig machen und der Verstand hat seine liebe Mühe, damit klarzukommen. Weglaufen scheint zweck- und aussichtslos.

Gut, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht. Dann ist man zwar erschöpft und unausgeschlafen, aber doch irgendwie erleichtert und dankbar für die Ablenkungen des Tages bishin zur nächsten Nacht.

Du hast eine besondere Art, den Leser zu fesseln und ihn mitzunehmen.

Liebe Grüße Darkjuls
 
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Hey Darkjuls,

vielen Dank für die treffende Analyse!

Du fragst nach der Decke, ob es die Bettdecke ist, oder das Zimmer selbst, oder das, was sich dazwischen aufspannt wie ein metaphorisches Spinnennetz. Die ehrliche Antwort: ja. Es ist alles davon. Und noch etwas Drittes: der Dialog mit etwas, das antwortet, obwohl es gar nicht sprechen kann. Vielleicht ist das die brutalste Form von Einsamkeit, wenn das Schweigen plötzlich eine eigene Stimme bekommt.

Ich finde deine Interpretation spannend, gerade weil du dem Text erlaubst, mehrdeutig zu bleiben. Du suchst nicht das eine „Worum geht’s denn wirklich?“, sondern zeigst, wie viele Wege aus einem Alptraum herausführen, und dass manche einfach zurück ins eigene Bett münden.

„gut, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht“.
Ja, aber manchmal fühlt sie sich wie eine Lampe in einem Verhörraum an. Und trotzdem… immerhin Licht. Immerhin irgendwie „da“.

Danke, dass du mit den Schatten tanzt, statt sie wegzuleuchten.

LG
evermore
 
Hi eve

Ich finde du hast dieses surreale zwischenreich sehr gut dargestellt. Die technischen Geräte symbolisieren vielleicht Verbindungsversuche, die scheitern. Der Text scheint mir voller Szenen in denen Steuerung versagt und deutet darauf hin, dass vielleicht gerade der Kontrollverlust -so angstbesetzt er sein mag- nicht sprengt sondern integrieren könnte. Dieses archetypische Bilddenken - sprachgewaltig, genussvoll- ist wirklich ganz vorzüglich!

Ich habe dein Werk als künstlerischen Text gelesen in dem das poetische Ringen um Grundfragen des „Selbst“ fast anfassbar wird!

Mes compliments

Dio
 
hallo evermore,

für mich ist dieser text stark mit einer negativen energie beladen. schuld, selbstzweifel, druck, gar gewalt in form von beißenden zungen (tatsächlich habe ich mir dieses bild vorgestellt und irgendwie waren zungen mit zähnen dann doch wieder absurd lächerlich, weil der gegenbiss fehlt😉), explosionen, blutrote hände, schreie. vielleicht ist die bettdecke tatsächlich eine "sie", die schreit, weil ihr gewalt angetan wurde aufgrund einer überreaktion des psychisch zerrissenen LI, das traum und realität nicht mehr zu unterscheiden vermag?

die sprache ist trotz des spürbaren kontrollverlustes des LI assoziativ, die atmosphäre dicht und emotional beklemmend. gelungener text.

liebe grüße
sofakatze
 
  • sofakatze
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